von Wolfram Adolphi
Die Sonntagsreden zum 9. November, dem 70. Jahrestag der Pogrome gegen Deutschlands Juden 1938, sind verhallt. Der Bundestag hat einem Antisemitismus-Antrag seine Zustimmung gegeben, bei dem die CDU/CSU-Fraktion die LINKE nicht dabei haben wollte. Die LINKE hat, weil ihr an Konsens in dieser Frage gelegen ist, einen absolut gleichlautenden Antrag eingebracht, so daß unterm Strich eine gemeinsame Haltung steht.
Und sonst? Im wirklichen Leben?
Die Deutsche Bank hat angekündigt, ihre finanzielle Unterstützung für das Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam einzustellen. Das 1999 gegründete Kolleg ist das derzeit einzige Rabbinerseminar der Bundesrepublik Deutschland und die einzige Neugründung in Kontinentaleuropa seit dem Holocaust. In acht Jahren hat sich die Deutsche Bank mit 250000 Euro an der Finanzierung beteiligt. Das sind um die 31000 Euro im Jahr. Die seien jetzt nicht mehr aufzubringen, meint Bankchef Josef Ackermann. Die Krise eben, nicht wahr.
Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo-Instituts und neoliberaler Wirtschafts-»Weiser«, hat es für richtig gehalten, die hier und da zu hörende Manager-Schelte mit der Judenverfolgung in eins zu setzen, wurde aber dafür von Henryk M. Broder, den sonstigen Scharfrichter in Sachen Antisemitismus, sofort in Schutz genommen. Sinn habe sich »einfach nur verplappert, einen dummen Satz gesagt«. Und weil es so lustig ist mit dem Verplappern und Dumme-Sätze-Sagen, hat Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff nachgelegt und von »Pogromstimmung« gegen die Manager geredet.
Am 9. November sind in Potsdam um die 200 Menschen an der Schrifttafel, mit der an die Verwüstung der Synagoge erinnert wird, versammelt. Dreißig Minuten bewegenden Gedenkens. Viele sprechen russisch. Zuwanderer sind es, die wesentlich zur Wiedergeburt jüdischen Lebens in der Stadt beigetragen haben. Die Veranstaltung gilt dem Erinnern, und sie gilt der Zukunft. Geld wird gebraucht für eine neue Synagoge. Oberbürgermeister Jann Jakobs ist anwesend, aber andere Prominenz macht sich rar. Ministerpräsident Matthias Platzeck hat keine Zeit gefunden, die CDU-Spitzen der Stadt sind nicht zu sehen – im Gegensatz zu denen derjenigen Partei, mit der die CDU im Bundestag keinen gemeinsamen Antrag wollte –, und auch von Günter Jauch, zum Beispiel, fehlt jede Spur. Aber Jauch kann wirklich nicht überall sein. Aktiv ist er doch schon, wenn es um »Mitte schön« geht. Das ist eine Bürgerinitiative für die originalgetreue Wiedererrichtung des Preußenschlosses. Da kommen – wie vor ein paar Wochen – auch ohne jeden Jahrestag leicht 1000 Leute zur Kundgebung, und Hasso Plattner läßt für die Originalfassade zwanzig Millionen Euro springen. Damit wäre die Synagoge fast schon gebaut. Nun könnte sich »Mitte schön« ja auch für die Synagoge einsetzen. Tut es aber nicht.
So liegen die Dinge. Erbärmlich.
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