Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 24. November 2008, Heft 24

Auszug mit Konfetti

von Sarah Liebigt

Als ich am vergangenen Samstag gen Köln fuhr, bahnte ich meinen Weg zum Zug durch Anhänger der linken Szene, kotzende Jungnazis und Mitglieder des Schwarzen Blocks. Jede Gruppe entsprach den bekannten Rollenvorstellungen, die mit dem jeweiligen Label einhergehen. Allesamt waren sie an diesem Samstag Demonstranten, die sich zur Heimreise am Bahnhof wieder trafen. Im Zug schließlich war ich froh, mir das Abteil nicht mit an übermäßigem Alkoholgenuß erkrankten Neonazis teilen zu müssen. Mitten hinein in meine Überlegungen betrat eine Gruppe rotweiß gekleideter Menschen mit Glitzerspray in den Haaren den Waggon und besetzte gackernd und Witzchen reißend alle Plätze. Ja, ist’s denn heut schon soweit, fragte ich mich und erfuhr während der langen sechzig Minuten, daß die Herrschaften zur Voreröffnungsfeier der diesjährigen Karnevalssaison unterwegs sind.
Als ich heute, drei Tage später, wieder in den Zug gen Köln und Büro steige, entert kurz nach mir ein für die frühe Stunde definitiv zu lauter, grell kostümierter Trupp den Wagen. Nach der Fahrt dröhnt mein Kopf von Rülpswettbewerben und geschmetterten Liedfetzen. Der Kölner Hauptbahnhof ist übervölkert von Menschen in sehr bunten Kostümen, Ordnungshütern und vereinsamten Bierflaschen. Tagsüber bekomme ich von den Feierlichkeiten nichts mit, vom Marschmusikorchesterumzug gegen Mittag abgesehen.
So habe ich dann gegen Abend schon wieder vergessen, daß heute der 11.11. ist und damit offizieller Saisonbeginn der Karnevalsaison 2008/ 2009. Darum ziehe ich erstmal verschreckt den Kopf zwischen die Schultern, als ich aus der Tür direkt in einen lallenden Pulk lilafarbener Kühe stolpere. Der Weg zum Bahnhof wird zum Hindernisrennen. Ich weiche rotweißen Overalls aus, die mir mit Blasinstrumenten die Trommelfelle zerreißen wollen, und umrunde im Stechschritt ein Grüppchen dickbauchige Marienkäfer, die im Licht eines Schaufensters zum Gruppenfoto posieren. Weiter umgehe ich ältere Männer in karierten Sakkos, die im typisch vorsichtigen Eins-zwei-Ausfallschritt des vornehm Betrunkenen durch die Fußgängerzone schleichen, und versuche dabei, nicht im wehenden grünen Tüllkostüm eines grazilen Meerjungfrauwesens hängen zubleiben.
Den Eintritt ins Bahnhofsgebäude versperrt mir ein vierschrötiger Hunne mit blutiger Schnittwunde im Gesicht und Doppelaxt über der Schulter. Kumpel, Pirates of the Caribbean ist so out, denke ich mir, als ich bis Gleis neun am vierten Piraten mit schwarz umrandeten Augen und verfilzter Langhaarperücke vorbeikomme.
Auf dem Bahnsteig stößt mich eine Plüschzitrone mit Armen und Beinen in die Kniekehlen und wird von der Bahnhofssecurity aufgefordert, langsam über den Bahnsteig zu kullern. Bis der Zug einfährt, habe ich genug Ruhe, meinen Blick von einem Farbtupfer zum nächsten schweifen zu lassen, und ich frage mich, weshalb der Panzerknacker neben mir nun ein richtiges, tolles, Kostüm trägt, während es für andere lediglich Ziel zu sein scheint, als möglichst bunter Konfettihaufen mit angeklebten Luftballons oder behangen mit langweiligen Milkakuh-Plüschfellfetzen Karneval zu feiern.
Während ich im Zug im Alkoholdunst sitze, fällt mir auf, daß Tage wie dieser mit seinen trinkwütigen Farbklecksen und entsetzten Kommentaren von lieben Kollegen, die gar nicht verstehen, wie man ohne Karneval glücklich aufwachsen kann, mir den Abschied von der Rheinmetropole ein kleines bißchen erleichtern.
Cheers.