von Max Hagebök
Wer erklärt Phänomene, die aus der Mitte der Gesellschaft erwachsen? Seismographisch immer wieder die künstlerischen Verarbeiter dieser Strukturen. In vielen Werken werden gesellschaftliche Fragen aufgegriffen. Dabei bedienen sich die Künstler sowohl formaler Brüche als auch inhaltlicher Analysen der menschlichen Aktivitäten. Die Kunst nimmt ernst, was die philosophischen Denker und die politischen Auguren vorgeben. So entstanden in der Vergangenheit vernichtende Kritiken der jeweiligen gesellschaftlichen Entwürfe. Der Künstler wurde zum politischen Gegenspieler der politisch anmaßenden Kräfte.
Die Reaktionen der Mächtigen ähneln sich durch alle Zeiten: Die politische Macht und ihre Diener wollen brechen, was ihnen in die Quere kommt. Deshalb sind politische und wirtschaftliche Zensur ein fast unvergängliches Muster im Verhältnis von Kunst und Politik.
Die Politik mag – selbst wenn die Machtverhältnisse als Demokratie organisiert sind – den künstlerischen Spiegel nicht. Unter Diktatoren geht es natürlich schlichter zu: Wer für sich die Wahrheit deklariert, der kann nur den Gleichschritt von Geist und Politik kommandieren. Die Kunst gehört zu den Mächtigen. Diktatoren nehmen sich deren Akteure leidenschaftlich an. Und verschmähte Liebhaber, die sie notwendigerweise werden, sind nicht nur häßlich, sondern sie hassen auch. Deshalb suchen sie das Objekt ihrer Begierde heim und zerstören deren Werke.
Doch ohne Kultur fehlt der Bevölkerung die emotionale Verstrickung mit den rationalen Strukturen der Mächtigen. Aus dieser Legitimationskrise winden sich die Herrscher mit einer Vermassungsstrategie. Deren Idee ist es, den inneren Mechanismus der Kunst zu zerstören.
Was macht die Kunst aus? Sie findet ihre Bestimmung in der Tatsache, daß der Rezipient die Deutungshoheit über das, was er liest oder sieht, behält. Damit ist er selbstbestimmt und entzieht sich kollektiven Vorgaben. Er wird nicht steuerbar. Jede Manipulation nach einem kollektiven Strickmuster prallt am individuellen Immunsystem ab. In den seligen DDR-Zeiten wurde massenhaft der sozialistische Mensch geboren, der theoretisch gewollt, aber politisch verfolgt wurde: der neue Mensch als der Totengräber einer sich neu nennenden Diktatur. An dieser Schizophrenie mußte die DDR zugrundegehen.
Dagegen priesen die Dissidenten der DDR und die Siegelbewahrer der marktwirtschaftlichen Demokratie den kulturellen Prozeß der Moderne. Vergessend, daß die Moderne in der Kultur als kritischer Reflex auf wirtschaftliche, wissenschaftliche und politische Interessen entstand. Daß aus der Moderne der Faschismus erwachsen konnte, sollte nicht vergessen werden. Auch heute ist der kategorische Imperativ »Sei mächtig« das Sinnbildende in der Außen- und Innenpolitik der Demokratien.
Doch wo die Macht gebraucht wird, um in Konflikten die eigenen Interessen siegreich durchzusetzen, da wiederholt sich Geschichte. Besonders in gegenwärtigen Konflikten, die in den bewährten Mustern von Behauptung und Vernichtung gelöst werden. Deshalb greifen die Mächtigen erneut zur Vermassungsstrategie. Es geht um die Produktion von gleichmachenden Deutungsinhalten. Einfache Botschaften und aggressive Ästhetik verbinden sich zu manipulierenden Werken. Die elektronischen Medien, gesteuert von der Konsumforschung, haben den Seher und Hörer längst um die freie Wahl seines Medienverhaltens gebracht. Der Wortanteil im Hörfunk ist auf einen historischen Tiefpunkt. Im Fernsehen ist das zeitgeistkritische Magazin ein aussterbendes Format. Dagegen werden Krimiserien in unzähligen Wiederholungen und Volksmusik programmiert, im fiktiven Bereich haben die Plagiate Renaissance.
Auch in der Printlandschaft wird der kritische Zeitgeist zerstört. In dieser Republik kämpft der Spiegel mit BILD um die Rolle des Leitmediums.. Da lacht das Herz jedes Diktators. Selbst der Museumsbesuch wird durch die Eventkultur aufgehoben, nächtelang wird der geneigte Besucher durch unzählige Museen geschleust, immer mit dabei: der Picknickkorb.
Was nicht zur Vermassung taugt, ist keine Kultur, ist keine Kunst.
Angefeuert vom schöngeistigen Feuilleton, wird suggeriert, daß nur der ein vollwertiger Mensch sei, der sich durch Bestsellerlisten liest und durch Massenausstellungen schleicht.
Wir erleiden, daß das Menschenbild der Moderne auf dem Altar der Macht geopfert wird. Für den kritischen Geist bleibt bestenfalls die Nische. Das Menschenbild der parlamentarischen Diktatur zielt auf den zwangskollektivierten Menschen und den politisch und wirtschaftlich zensierten Künstler.
Schlagwörter: Max Hagebök