Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 9. Juni 2008, Heft 12

Klassenkampf

von Erhard Crome

Gottfried Ludewig macht wieder von sich reden. Er ist zwar erst 25 Jahre alt, aber schafft es immer mal wieder in die Medien. Kürzlich saß er bei Frau Will im Fernsehen. Bilder mit ihm und der Kanzlerin wurden ebenfalls schon verbreitet. Da war er bereits Vorsitzender des christdemokratischen Studentenverbandes RCDS.
Zuvor war er in Berlin aktiv. Hier hatte er es geschafft, Vorsitzender des AStA – des Allgemeinen Studierendenausschusses, das heißt der gewählten Studierendenvertretung – der Technischen Universität Berlin zu werden. Das war der erste »rechte« AStA in Berlin seit über vierzig Jahren. Der letzte vom RCDS gestellte AStA-Vorsitzende vor Ludewig hieß Eberhard Diepgen. Da hatte er die vielen Jahre als Regierender Bürgermeister von Berlin noch vor sich. Erst der Finanzskandal kostete ihn endgültig das Amt; nun wird Diepgen als Rentner zuweilen in Kudamm-Nähe gesehen.
Vom 1951 gegründeten RCDS heißt es stolz, er sei der »größte und älteste politische Studierendenverband in Deutschland«. Aber die meisten ASten, nicht erst seit 1968, sind »linke«. Ludewig und die Seinen wollten nicht nur einfach der Studentenschaft präsidieren, sie wollten die Verhältnisse ändern.
Während an anderen Universitäten die Christdemokraten mühsam gegen linke ASten prozessieren mußten, um politische Bekundungen der Studenten (-innen sind hier mitgemeint) zu unterbinden beziehungsweise zumindest zu erschweren, saßen sie an der TU seit der Wahl im Oktober 2006 an den Schalthebeln.
Und sie schalteten und hebelten. Zunächst machten sie es zum Programm »einzusparen«: Der AStA-Etat betrug ursprünglich zwischen 300000 und 400000 Euro, bei einem Studienbeitrag pro Semester von 7,10 Euro für jeden der über 27000 Studenten. Der Ludewig-AStA schlug 3,96 Euro vor – das ansonsten stets einsparende Universitätspräsidium bestand auf 5,81 Euro, weil sonst die Studierendenvertretung überhaupt nicht arbeitsfähig sei. Das Ludewigsche Credo lautete: »Wir müssen uns auf die Kernaufgaben konzentrieren und keine ideologische Klientelpolitik machen.« Gekürzt wurde bei »Stipendien, Ausbildungs- und Erziehungshilfen« sowie »Zuschüssen für Jugend- und Studentenprojekte«, die »BAföG-, Sozial- und Ausländerberatung« kam auf den Prüfstand. Die Landesastenkonferenz aller Berliner Universitäten konnte keine politischen Kampagnen mehr machen – Semesterticket und Studiengebühren standen damals auf der Tagesordnung –, weil dort das Konsensprinzip herrscht und der TU-AStA sich weigerte.
Als nächstes stand die AStA-Druckerei der TU auf der Tagesordnung. Seit Anfang der achtziger Jahre war dort alles gedruckt worden, »was so anfiel«. Dazu gehörten auch allerlei linke Flugblätter, Plakate und Info-Materialien, die die politischen Gruppen aus dem studentischen Milieu für wichtig hielten. Dabei gab es offenbar keine vollständigen Nachweise, was dort über die Jahre hinweg alles gedruckt worden war – was der Landesrechnungshof wiederum monierte, weil es ja um öffentliche Gelder ging. Dies nutzte der AStA der TU, um die Druckerei kurzerhand zu schließen und die Maschine rasch zu verkaufen. Das war im Juli 2007, kurz vor seiner Abwahl. Die Web-Seite war zu jener Zeit ebenfalls abgeschaltet. Ludewig meinte, es gäbe immer noch Leute, die nicht einsehen wollten, daß ‘68 vorbei sei und an der Uni nicht die Revolution vorbereitet werde. Er habe »eine Amtszeit lang versucht, die Mauscheleien aus vierzig Jahren linker Vorherrschaft im AStA zu beenden«.
Das hat der CDU-Jugend offenbar so gut gefallen, daß sie Ludewig zum Bundesvorsitzenden des RCDS wählte. Hier nun rückte er kürzlich in das bundesweite Scheinwerferlicht, weil er verkündete: »Diejenigen, die den deutschen Wohlfahrtsstaat finanzieren und stützen, müssen in diesem Land wieder mehr Einfluß gewinnen.« Das verband er stracks mit dem Vorschlag, diesen Leistungsträgern »ein doppeltes Wahl- und Stimmrecht« zu geben, das heißt, das der Leistungsempfänger zu halbieren, womit er vor allem Hartz-IV-Bezieher und Rentner meinte. Dahinter steht der Gedanke: Wenn alle Betroffenen über die sie betreffenden Kürzungs-Reformen demokratisch mitentscheiden dürfen, kommen diese »Reformen« nicht zustande, zumindest nicht, wenn die Phase der politischen Überrumpelung vorüber ist. Und die scheint in Deutschland ja gerade wirklich zu Ende zu gehen.
Eigentlich ist das eine alte Geschichte. In der Demokratie entscheiden Mehrheiten. Entscheidend dafür aber ist: Wer darf sich an diesen Entscheidungen beteiligen? Die Antwort auf die Frage, wer Wahlbürger sein dürfe, bestimmt am Ende, wie die jeweilige Körperschaft zusammengesetzt ist und damit, was sie auf Grund welcher Interessen entscheidet. Bei den alten Griechen war Demokratie eine Sache, an der sich Sklaven, Frauen und Metöken – das waren die in das jeweilige Staatswesen zugereisten Freien, die kein Bürgerrecht besaßen – nicht beteiligen durften. Nun läßt sich die Abschaffung des Frauenwahlrechts heutzutage schlecht vermitteln, schon wegen Frau Merkel und Frau von der Leyen. Die Metöken heißen heute Migranten, und da ist die CDU bei der Zuteilung von Bürgerrechten ohnehin recht zurückhaltend, um es freundlich auszudrücken. An diese Frage muß Ludewig also nicht ran. Und die Sklaverei ist abgeschafft. Aber man kann sich ja an die Hartz-IV-Opfer und die gebeutelten Rentner halten und zumindest mal nachfragen, wozu die eigentlich mitwählen sollen.
Ludewig hat die Idee, daß man das sehr effektiv über die Einteilung der Bürger nach Steueraufkommen regeln könne. Das hat in Deutschland Tradition. In Preußen gab es einst die schöne Einrichtung des Dreiklassenwahlrechts. Es bestand bis 1918. Das ging so: Das Steueraufkommen in einem Wahlbezirk wurde gedrittelt. Die Bürger, die das erste Drittel der Steuern bezahlten, wählten das erste Drittel der Abgeordneten, die, die das zweite Drittel bezahlten, das zweite Drittel der Abgeordneten und das dritte das dritte. So wählten 1898 dann 85,3 Prozent der Wähler in Preußen in Abteilung III, 11,4 Prozent in Abteilung II und 3,3 Prozent in Abteilung I. Bei den Kommunalwahlen in Essen bestimmte Kanonenkönig Krupp allein ein Drittel der Mitglieder des Stadtrates.
Ludewig, nachdem er seinen Vorschlag nicht nur in der CDU ausgebreitet, sondern auch in der Bild-»Zeitung« erklärt hatte, handelte sich von allen Seiten Widerspruch ein, aus dem bürgerlichen Lager auch von der FDP, die das Prinzip »ein Mensch – eine Stimme« weiter für unverzichtbar hält, und von der Seniorenvereinigung der CDU. Die muß ihre Klientel pflegen.
Die eigentliche Frage aber ist: Wie kommt ein junger Mensch plötzlich auf eine solche »neue« Idee? Hier tritt ein sozialdarwinistisches »Eliten«-Verständnis hervor, das die Gleichheit der Menschen vor Gott (in der CDU!) und dem Gesetz nicht mehr für einen Wert hält. Wer kein »Leistungsträger« ist, sei es nicht wert, gleichberechtigt zu sein. So die Logik. Wir können uns auf etwas gefaßt machen, wenn Leute wie Ludewig so weit kommen, wie Eberhard Diepgen zum Beispiel kam, und wenn sie, sollten sie zu Macht und Einfluß gelangt sein, die Gesellschaft so behandeln, wie die Druckerei in der TU behandelt wurde.