von Kai Agthe
Es ist dunkel und still in diesem Kaufhaus, das auf halbem Weg zwischen Halles Alt- und Neustadt und seit Jahren leer steht. Ein gewaltiges Stück DDR-Architektur, dessen Reklame Für ihren Einkauf schon lange nicht mehr leuchtet. Für die Karstadt AG, die das einstige Centrum-Kaufhaus nach 1990 übernommen hatte, lohnte sich der Betrieb nicht mehr. Trotzdem ist hier wieder Leben eingezogen. Doch statt Konsum wird Kunst geboten. Es ist der bildkünstlerische Nachlaß von Einar Schleef (1944-2001) zu sehen. Diese Örtlichkeit hätte ihm gewiß gefallen. Denn das verwaiste Gebäude mit der vernagelten Fensterfront ist so spröde wie die Malerei des aus Sangerhausen stammenden Künstlers. Seine Gemälde und Zeichnungen dem Landeskunstmuseum Moritzburg in Halle zu übergeben, war eine kluge Entscheidung der Erben Gabriele Gerecke und Hans-Ulrich Müller-Schwefe; sie war die Lebensgefährtin, er der Lektor und Freund Einar Schleefs.
Schleef hatte in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren in Berlin erst Malerei, dann Bühnenbildgestaltung studiert. Aus dem Bühnenbildner wurde bald ein umstrittener Theaterregisseur. Als »Zertrümmerer« und »Berserker« ging Schleef in die Theatergeschichte ein. Parallel zu seinen Inszenierungen malte und schrieb er. Letzteres begann mit dem Roman Gertrud (1980/1983) und endete mit den Tagebüchern, die er 1956, im Alter von zwölf Jahren, begonnen hatte. Drei von fünf Bänden liegen inzwischen vor. Daß Schleef auch ein Fotograf mit geschultem Auge war, zeigte 2006 die Berliner Schau Kontaktbögen.
Die Ausstellung in Halle schafft das nicht geringe Kunststück, die Entwicklung des bildenden Künstlers umfassend zu dokumentieren: von seinen Anfängen im Zeichenzirkel Sangerhausen der sechziger Jahre über die Berliner Milieu- und Aktstudien der siebziger bis hin zu den großformatigen Bildern der neunziger Jahre. Die Ausstellung und der Katalog drehen die Chronologie freilich um. Am Anfang stehen die letzten, politisch akzentuierten Bilder, am Ende die frühesten. Eine genaue Zuordnung der Arbeiten ist schwierig, da Schleef sie nur selten datierte. Auch hatte der Künstler, wie der Berliner Galerist Friedrich Rothe berichtet, ein lockeres Verhältnis zu Skizzen und Bildern, die er in vielen Lagen übereinander stapelte. Konservatorisch eine Katastrophe, ging es Schleef primär ums Tun, nicht ums Bewahren.
Eigenwillig sind die sogenannten Tagebuchbilder und Textbilder. Auf den hochformatigen und aus bis zu 21 Miniaturen zusammengesetzten, akribisch gearbeiteten Tagebuchbildern werden Text und Bild gleichrangig behandelt. Die Textbilder verzichten aufs Bildnerische, konstituieren sich allein durch das geschriebene Wort. Hier zitiert sich Schleef oft selbst. Auf einem Bild ist ein Auszug aus dem Band Zu Hause (1981) zu lesen, auf einem anderen eine Passage aus dem Roman Gertrud, der, so Michael Freitag treffend, ein »Erinnerungsbuch ohnegleichen« ist.
Ein in den späten siebziger und frühen achtziger Jahren immer wiederkehrendes Thema sind Telefonzellen. Ein Hauptwerk ist der aus achtzehn Bildern bestehende und Klage betitelte Zyklus (1978-1983) von öffentlichen Fernsprechhäuschen mit jenen nurmehr schemenhaften und oft nur die Apparate anstarrenden Gestalten, die als »Schablone tiefster Einsamkeit« (Michael Freitag) auch Schleefs Malerei in den Neunzigern charakterisieren sollten. Dank punktueller Beleuchtung scheint es, als würden die achtzehn Telefonzellen von innen erhellt.
Die große Überraschung dieser Retrospektive ist die Erkenntnis, daß Einar Schleef auch ein hervorragender Porträtist war. Stellvertretend dafür können die beiden Porträt junger Mann betitelten Gemälde aus den achtziger Jahren stehen. Neben mehreren Selbstbildnissen sind einige Porträts Gabriele Gereckes ausgestellt. Darunter auch ein aus Synthese, Antithese und Synthese, das heißt aus einem schwarzen, weißen und schwarz-weißen Gesicht bestehendes Tryptichon, das Schleef kurzerhand auf den Tagesspiegel vom 2. November 1978 malte. Auch so manchen Bühnenbildentwurf führte der Theatermacher auf Leinwand aus.
Die späten Arbeiten haben etwas Gespenstisches und Alptraumhaftes. Da sind einerseits Massenszenen wie nächtliche Demonstrationszüge und martialische Polizeireihen, andererseits Figurengruppen wie die fünf Richter in roten Roben mit mal maskenhaft verschobenen, mal totenkopfartigen Physiognomien. Die Mauer hat der Schleef von Westberlin aus auf dem Gemälde Im Todesstreifen festgehalten. Dazu paßt eine Notiz vom März 1986: »Überall DDR, kannst kaum treten, zum Kotzen.«
Die Texte des Katalogs würden rundum enttäuschen, wäre nicht der wirklich vorzügliche Essay des Berliner Kunsthistorikers Michael Freitag. Alles bedenkend, zeigt sich: Schleef hat die bildende Kunst zwar nicht revolutioniert, aber entschieden bereichert.
Einar Schleef: Der Maler, Mansfelder Straße 15, Halle/Saale, bis 20. Juli, dienstags, donnerstags, freitags 12 bis 19 Uhr, mittwochs 12 bis 20.30 Uhr, an den Wochenenden 10 bis 19 Uhr. Der Katalog kostet 34 Euro
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