von Uwe Stelbrink
Nun isser durch – der »Volksentscheid« zum Flughafen Tempelhof. Durch und durchgefallen. Friedbert Pflüger, der Möchtegern-Regierende der CDU, den außer seinen Parteisoldaten kaum einer in Berlin kennt, hat einen »dollen Sieg« eingefahren, wie er selbst feststellte. Denn: Eine Mehrheit der abstimmenden Volksentscheider, immerhin über sechzig Prozent, stimmte für den Weiterbetrieb des Baudenkmals als Flughafen. Daß es nur knapp zweiundzwanzig Prozent der Wahlberechtigten waren – und nicht neunundsiebzig Prozent, wie auf den Wahlplakaten der von CDU, FDP und interessierten Kreisen der Industrie getragenen Kampagne vollmundig behauptet wurde, ficht Friedbert Pflüger nicht an. SPD und LINKE waren leicht erschrocken, denn es fehlten nur gut 79000 Stimmen und dann … Ja, was dann? Dann hätte sich das Abgeordnetenhaus erneut mit dieser Frage befassen müssen. Wir sind also um eine weitere Aufführung von Polittheater betrogen worden.
Die Wellen schlugen hoch im Wasserglas. So als ginge es in der Tat um den Erhalt des innerstädtischen Flughafens in Tempelhof. Darum mag es einigen Privat-Jets bevorzugenden Geschäftsleuten in der Tat gegangen sein. Aber selbst der CDU, deren über den Berliner Bankenskandal gestolperte Ex-Regierende Diepgen den Beschluß zum Bau des Großflughafens in Schönefeld seinerzeit eingebracht hatte, dürfte das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Planfeststellungsverfahren bekannt sein: Bau und Betrieb von Schönefeld setzen eine Schließung von Tempelhof zwingend voraus.
Lassen wir einmal die auf den Wahlplakaten beschworenen Provinzängste außer acht und unterstellen wir, daß auch CDU und FDP die schon verausgabten Millionenbeträge in Schönefeld nicht in den brandenburgischen Sand setzen wollten, dann bleibt nur ein erkennbarer Grund, weshalb sich diese Parteien, unterstützt von Industrie und IHK und gestützt auf viel Westberliner Nostalgie und Ankränkeleien – schließlich hat man schon den Abstieg von Kudamm und Bahnhof Zoo in die Zweite Liga hinnehmen müssen – einen Volksentscheid kauften: Damit konnte man die Herren Pflüger und Lindner – zur Erinnerung: letzterer gehörte zu der studentischen Initiative, die einmal die FDP »übernehmen und umgestalten« wollte; heute ist er ihr artiger Fraktionsvorsitzender – ein wenig aus dem medienpolitischen Loch holen und zu Tribunen des Volkswillens stilisieren. Und SPD und Linke vorführen, die doch offensichtlich nicht geneigt seien, den Willen des Souveräns zu achten.
Prompt stellte Pflüger nach seinem »dollen Sieg« denn auch fest, daß sechzig Prozent der Berliner für den Erhalt von Tempelhof seien – und das habe der Senat zu respektieren, so sei es nun einmal in der Demokratie. Martin Lindner von der FDP meinte süffisant, daß mit den über 530000 Tempelhof-Befürwortern der Flughafen eine größere Legitimität besitze als die SPD, die bei den letzten Abgeordnetenhauswahlen ganze 424000 Stimmen erreicht habe – und doch das Land Berlin regiere.
Das ist Martin Lindner sicherlich nur so über die Lippen gerutscht. Denn darauf will er doch wohl das Wahlvolk nicht wirklich aufmerksam machen: daß sich das Volk stets von Minderheiten, die sich zu Mehrheiten erklären, regieren läßt.
Aber wahrscheinlich war es bei ihm wie vor allem bei Friedbert Pflüger nur ein politischer Reflex: Je nach Votum werden die Wahlergebnisse zurechtgebogen und -gelogen. Will man an die Macht oder an der Macht bleiben, werden relative Mehrheiten, die eigentlich absolute Minderheiten sind, zu absoluten Mehrheiten verrechnet. Alle Parteien finden das völlig in Ordnung – und der Wähler läßt es sich gefallen.
Über den eigentlichen Skandal ist während des ganzen Rummels um Tempelhof weder an den Biertischen der Metropole noch in den Quasselrunden des Fernsehens geredet worden: Egal wie der Volksentscheid ausgegangen wäre – der Senat, die Herrschenden, wären an sein Ergebnis nicht gebunden gewesen.
Warum heißt das Ding dann Volksentscheid? Weil sich das Volk entscheiden muß, ob es dem Demokratieschwindel weiter glauben will? Ob es weiter glauben will, es hätte bei Wahlen eine Wahl?
Noch sitzen zumindest bei Bundestags- und Landtagswahlen absolute Mehrheiten dem Zauber auf. Und haben es sich damit verdient, je nach Stimmkreuzverteilung zweierlei Maß bei der Auszählung präsentiert zu bekommen. Ganz demokratisch.
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