von Uwe Stelbrink
Auf die Gefahr hin, von »d. Red.« fortan als Marx-Epigone geführt zu werden, muß ich den Alt-Marxisten und Alt-Kommunisten Georg Fülberth in Schutz gegen Heerke Hummel (Das Blättchen 10/2008) und – nun ja – gegen »d. Red.« nehmen. Fülberth, der »seinen« Marx wohl besser gelesen und vor allem verstanden hat als viele andere und offensichtlich auch als H. H., wird von letzterem zurechtgewiesen, weil er von einer »kapitalistischen deutschen Gesellschaft« sprach (nach Zitat Hummel). Wenn ich »meinen« Marx halbwegs richtig verstanden habe, untersuchte er die Funktionsweise der sich zur Totalität entwickelnden Warenproduktion, einer Produktionsweise, die den Mehrwert zum alleinigen Ziel hat und auch nur so funktionieren kann (ganz unabhängig vom »subjektiven Willen« der Akteure; Marx hatte nicht umsonst den Begriff der »Charaktermasken des Kapitals« für sie) und die Arbeit als andere Seite der Kapital-Medaille zur Voraussetzung. Wenn eine solche kapitalistische Produktionsweise die Gesellschaft total durchdringt (Marx sprach vom Kapital als einem gesellschaftlichen Verhältnis) und ihr in allen ihren Lebensäußerungen den Stempel aufdrückt – ja, wenn sie auf solche Weise die Gesellschaft ist, darf man ihr wohl den Orden »kapitalistisch« verleihen. Und noch verkürzter wage ich mir dann, wenn ich grad nicht Definitionen abspulen will, von »Kapitalismus« zu reden. Im Gegensatz zu H. H. Man muß Fülberth nicht mögen, aber ihn zum Zitatenhansel für angeblich falsche Begrifflichkeit zu degradieren, wird ihm nun wirklich nicht gerecht.
H. H. fordert klare Begriff ein. Und hat selbst seine Probleme damit. Die Art und Weise der Produktion hat sich seit dem 19. Jahrhundert gewaltig verändert, in der Tat. Wie er allerdings auf die Idee kommt, daß das Unternehmertum etwas anderes mache als Geld zu mehr Geld, wird sein Geheimnis bleiben. Das und nur das ist das Ziel der Warenproduktion. Den Unternehmer des 19. Jahrhunderts scherte der konkrete Gegenstand seiner Produktion genauso wenig wie den des 21. Jahrhunderts. Womit aus dem eingesetzten Geld mehr Geld gemacht wird, ist völlig belanglos. Und da wirken – zwar unter sich wandelnden Voraussetzungen – auch immer noch die gleichen ökonomischen Gesetze. Da möchte man glatt »konservativer Kommunist« in Hummelscher Lesart werden.
Aber zu den klareren Worten und Begriffen von H. H. Er stellt die Hypothese, daß die »von Marx erwartete Gesellschaft« (sehr klar formuliert) in ihrer ökonomischen Basis bereits existiere. Wenn H.H. damit meint, daß die Vergesellschaftung bereits soweit fortgeschritten sei, daß die Gesellschaft »nur noch« vom Kopf auf die Füße gestellt werden müsse, also Ware und Arbeit – und damit das Kapitalverhältnis – aufzuheben seien, wären wir schon etwas näher bei klareren Worten und Begriffen. Und bei Marx. Statt dessen wähnt er sich offensichtlich bereits in einer Übergangsphase, die nur noch von den »Muttermalen der alten Gesellschaft« behaftet sei, und das »noch stärker, als von Marx angenommen«. Und wie werden wir diese Muttermale der alten Gesellschaft los? Laut H. H. »durch Beherrschung ihres Finanzsystems«. Und durch ihre Gestaltung zu einer »wirklichen Leistungsgesellschaft«.
Diese auf Warenproduktion und Arbeit basierende Gesellschaft hat zwar die materiellen Ressourcen, um allen Menschen ein menschenwürdiges Dasein zu sichern. Sie kann es nicht und wird es nicht, weil und solange sie Ware und Arbeit als unhinterfragte Kategorien voraussetzt. Wenn man das Finanzsystem beherrschen, aber nicht aufheben und zugleich eine Leistungsgesellschaft will, setzt man stillschweigend Warenproduktion und Arbeit voraus. Und damit die Fortexistenz der heutigen Gesellschaft, die ich bei Strafe des Epigonentums nicht kapitalistisch nennen darf.
Diese bittere Lehre haben wir doch aus der Geschichte der DDR ziehen dürfen: Wenn man die Ware als Kategorie voraussetzt und unangetastet läßt, hilft es auch nicht, wenn man von »sozialistischer Warenproduktion« spricht und den Mehrwert »Mehrprodukt« nennt – man wird von den gleichen ökonomischen Gesetzen eingeholt, die laut H. H. nicht mehr existieren. Und wenn man die Arbeit heroisiert, statt sie aufheben zu wollen, hilft auch der Begriff einer »wirklichen Leistungsgesellschaft«, die es mit dem Adjektiv »sozialistisch« auch schon gab, nicht weiter.
H. H. kritisiert völlig zu Recht die Theorielosigkeit der LINKEN (und der Linken und der »Linken«, möchte man hinzu fügen). Sie aufzufordern, sich »klar und ehrlich von der Marxschen Kapitalismustheorie (die es laut »d. Red.« ja gar nicht geben kann – U. S.) zu verabschieden« und statt dessen seiner vor Begriffslosigkeit strotzenden Hypothese zu folgen, mag zwar den Intentionen der sich in den bestehenden Verhältnissen eingerichteten wie auch immer Linken entsprechen – klarere Worte als bei den Kritisierten vermag ich bei Heerke Hummel allerdings nicht zu finden. Und bevor der Kritiker seine eigene neue »Theorie der Ökonomik« weiterentwickelt, möge er doch bitte wenigstens erst einmal die Ergebnisse der Wertkritik (die eigentlich wertabspaltungskritische Krisen-Theorie heißen sollte – aber ich neige halt zur Verkürzung) zur Kenntnis nehmen. Die gibt es nämlich schon.
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