von Henryk Goldberg
Wir befanden uns im familieneigenen PKW sowie in einer kleinen Diskussion. Mein Sohn, seine Mutter und ich. Wir debattierten die Frage, ob das soeben von uns überholte Verkehrsschild, wie ich glaubte, die zusätzliche Information bei Nässe trug oder, wie die beiden anderen glaubten, nicht. Das war deshalb von einer gewissen Bedeutung, weil die Zahl auf dem Schild eine 80 war und die auf der Geschwindigkeitsanzeige eine 180, und ich gegebenenfalls die Differenz zu verantworten hätte. Im Falle, dachte ich, daß mein Sohn recht hätte und dies radarmäßig aktenkundig würde, dann müßte der Junge halt für seinen Vater seinen Bukkel hinhalten beziehungsweise seine Papiere auf den Tisch legen. Weil er nächstens ohnehin vier Wochen ins entfernt Ausländische reist und dieser Vorgang zudem von mir subventioniert wird, sollte das kein Problem sein. Da sich das kleine Vorkommnis erst am Mittwoch ereignete, ist bis zur Stunde noch nicht geklärt, ob da ein Radargerät hinterlistig wegelagerte. Im Falle, es hätte, wäre es mir lieber, es hätte nicht, gewiß, doch das Gerät hätte doch eines ganz gewiß: recht.
Und dieses nun, wie ich folgenden Tages las, seit fünfzig Jahren. Ein halbes Jahrhundert ist also Autofahrers zweitliebster Feind, nach der Tankstelle natürlich, in diesen Tagen alt. Und da sage ich, reinen Herzens und ohne einen Hauch von Ironie: Herzlichen Glückwunsch! Weil es nämlich, ich bin noch immer vollkommen ironiefrei, ein Segen ist. Und weil ich immer noch glaube, es seien die Blitzermeldungen des Hörfunks, denen sich auch der öffentlich-rechtliche mdr anschließt, ein unmoralisches Angebot, daß hier Tote für Quote billigend in Kauf genommen werden. Weil nämlich der mündige Autofahrer, wenn er die verpetzte Kontrollstelle brav passiert hat, wieder fröhlich das rechte Bein streckt. Und das gibt die schönsten Leichen. Aber für den Schlachtruf Freie Fahrt für freie Bürger geht man schon mal über Leichen. Wenigstens über fremde.
An genau dieses Problem muß ich denken, wenn wieder einmal eine Partei gescholten wird, weil sie die Hürden für ein Volksbegehren sehr hoch legt, weil sie demokratisch nicht zwingend mit basisdemokratisch übersetzt. Gesetzt, das Volk, der Souverän, hätte zu entscheiden über die Radarfallen auf den Straßen: Und schon wären sie weg. Wie die Steuern. Sollen die doch sehen, wie sie zu dem Geld kommen, mit dem sie unsere Straßen bauen, an denen unsere Polizisten uns ausrauben.
Oder das Fernsehen. Wenn die kompakte Majorität über das Programm entschiede, dann würde diesem Kinderficker der Schwanz abgeschnitten, und zwar zur Primetime. Kastrationszeiten würden nach einer Debatte zwischen Justizministerium, Sendeleitung und Werbekunden festgesetzt. Oder die Krankenhäuser. Spräche statt eines Mediziners hier die Vox populi das entscheidende Wort über die Hausordnung, so würden in den Foyers Handys und DVD-Player und alles so was angeboten, zur sofortigen Anwendung in den Krankenzimmern bestimmt. Oder, ein ganz entlegenes Beispiel, die Kultur. Ließen wir hier die Mehrheit entscheiden, dann würden die Theater ratzbatz einer nützlichen Aufgabe zugeführt und diese Faxenmacher könnten mal lernen, was Arbeit heißt.
Die öffentliche Meinung ist eine Hure, die sich das jeweils bequemste Bett sucht, bis zum nächsten Angebot. So schützen uns die hohen Hürden vor uns selbst, so wie uns die Radarfallen schützen. Und deshalb rufe ich reinen Herzens: Happy birthday, liebe Radarfalle. Aber einen Tag vor dem Geburtstag hättest du dir eine schöne Party gönnen sollen.
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