von Erhard Crome
Gesellschaftsveränderung und Macht haben miteinander zu tun. Anderslautende neumodische Redereien dienen nur denen, die die Macht haben. Bei der Linken wird seit mehr als einem Jahrhundert über Regieren und Mitregieren debattiert. Das ist zwar noch nicht die ganze Macht, wenn man es gut macht, aber ein Teil von ihr. Die älteste Diskussion war, daß das politische System der Wahlen und des Parlamentarismus Parteien, die sich beteiligen, zu einem Teil seiner selbst mache; das könne eine sozialistische Partei aushalten, solange sie in der Opposition ist, wenn sie regiert, sei es mit der Unschuld jedoch vorbei. Insofern wird Regieren oder Opponieren gern als Glaubensfrage verhandelt. Die alten Revolutionäre, in der bolschewistischen Tradition, meinten, wenn sie denn in der Revolution die Macht ergriffen, werde sich alles zum Guten wenden. Daraus wurde dann nichts, und die »Wende« schickte sie von der Bühne der Geschichte. Ob für immer, wissen wir nicht.
Bleibt das parlamentarische System. Eine Partei, die mit der Maxime antritt, alles werde gut, wenn sie erst die ganze Macht habe, vorher aber werde sie sich am Regieren nicht beteiligen, wird vielleicht ein- oder zweimal gewählt werden, solange sie neu ist. Dann verläuft sich das Publikum, weil Menschen, denen es um ihren Arbeitsplatz, ihre Rente oder ihren Personennahverkehr vor der Haustür geht, von einer solchen Partei nichts zu erwarten haben. Umgekehrt hat eine linke Partei, die nicht anders regiert als eine liberal-bürgerliche, auf Dauer ebenfalls keine Chance, weil sie ihr Profil verliert. Die deutsche Nach-Schröder-Sozialdemokratie führt das gerade vor.
Was folgt daraus für eine linke Partei, die keine »Revolutionspartei« für den Sankt-Nimmerleinstag, aber auch keine zweite Sozialdemokratie sein will? Das ist zunächst eine Frage des politischen Gesichts. Die Französische Kommunistische Partei erreichte einst mit ihrem Präsidentschaftskandidaten Jacques Duclos mehr als ein Fünftel der Wählerstimmen: 21,5 Prozent im ersten Wahlgang 1969. Heute verfügt die FKP über 15 Abgeordnete in der französischen Nationalversammlung, die 577 Sitze hat. Die FKP war von 1997 bis 2002 an der Regierung des Sozialisten Lionel Jospin beteiligt, auch als die sich am Krieg gegen Jugoslawien beteiligte. Denn die französischen Kommunisten wollten wegen ihrer Sozialpolitik nicht am Sturz der Regierung schuld sein, verloren dann jedoch gegenüber den Sozialisten auch das sozialpolitische Profil und fielen in die heutige Marginalität.
Die Italienische Kommunistische Partei stand früher innenpolitisch mit den italienischen Christdemokraten nahezu auf gleicher Augenhöhe. Nach dem Ende des Kalten Krieges zerfiel sie in unterschiedliche Formationen; die Partei der kommunistischen Wiederbegründung Partito della Rifondazione Comunista schaffte es jedoch, eine eigenständige Kraft zu werden. Nach den Parlamentswahlen vom 13./14. April 2008 wird es erstmals nach dem Ende des Faschismus keinen kommunistischen Abgeordneten im italienischen Parlament mehr geben. Schon zwischen 1996 und 1998 hatte es eine Mitte-Links-Regierung unter dem Professor Romano Prodi gegeben; er verlor die Mehrheit, als Rifondazione aus seiner Koalition austrat. So schien die Partei wesentlich mitverantwortlich dafür, daß Berlusconi 2001 wieder an die Macht gelangte. Als sich 2006 die Möglichkeit ergab, abermals eine breite Koalition für ein Mitte-Links-Bündnis zu schaffen, an dessen Spitze erneut Prodi trat, wollte und konnte sich Rifondazione dem nicht entziehen.
Der charismatische Fausto Bertinotti wurde Präsident der Abgeordnetenkammer. Da war er zwar öfter im Fernsehen als zuvor, mußte als Parlamentspräsident aber eine parteipolitische Neutralität üben, die ihn seiner Partei entzog. Es entstand ein »Sachzwang«: Man wollte nicht wieder schuld sein, daß eine Prodi-Regierung scheitert und Berlusconi an die Macht kommt. Das begann schon mit der Außenpolitik: Italien zog seine Truppen aus dem Irak ab, beließ sie aber in Afghanistan, gegen den Willen der italienischen Friedensbewegung. Im Januar 2007 bestätigte außerdem Ministerpräsident Prodi die Entscheidung seines Vorgängers Berlusconi zum Ausbau des US-Militärstützpunkts Ederle in Vicenza, im Norden Italiens gelegen. Bereits im Februar 2007 demonstrierten etwa einhunderttausend Menschen in Vicenza gegen diese Entscheidung. Linke Gewerkschafter, Vertreter sozialer Bewegungen und Friedensaktivisten, die die Bildung dieser Regierung unterstützt und vielfach Rifondazione gewählt hatten, demonstrierten im Grunde genommen gegen die Außenpolitik dieser Regierung. Rifondazione trug auch die restriktive Haushaltspolitik Prodis mit und stellte eigene Gesetzesvorhaben, so zu Einwanderung, Arbeitsmarkt und nichtehelichen Lebensgemeinschaften, zurück. Bei den Wahlen im April 2008 nun blieben über drei Millionen Wähler, die zwei Jahre zuvor noch Rifondazione gewählt hatten, zu Hause. Denn Berlusconi wollten sie nicht wählen.
In beiden Fällen, dem französischen wie dem italienischen, ergab sich aus der Regierungsbeteiligung eine Spannung zwischen außenpolitischem Handeln und innenpolitischen Absichten sowie das Gefühl, einem Sachzwang des Regierens und der Erhaltung der Koalition unterworfen zu sein, der am Ende das politische Handeln lähmte.
Nun kann man natürlich versuchen, die Frage der außenpolitischen Rahmenbedingungen auszuklammern – was in beiden Fällen geschah – und sie dem Komplex »Staatsraison« zuzuordnen: Frankreich und Italien sind in der NATO, es gibt Verträge und Vereinbarungen, die von den Vorgängerregierungen geschlossen wurden und die man sozusagen vorfand. Darüber hinaus existieren »nationale Interessen« wie die französische Atomstreitmacht, an die man besser nicht rührt.
Das sind aber nicht unbedingt die Interessen, die auch die eigenen Wähler sehen. Diejenigen, die die Linke wählen, damit sie in der Sozial- oder Rentenpolitik etwas ändert, erwarten nicht unbedingt eine klare friedenspolitische Position. Sie würden die Partei wahrscheinlich nicht wieder wählen, wenn sie »nur« wegen der Friedensfrage eine Mitte-Links-Regierung scheitern ließ. Diejenigen, die die friedenspolitische Position wählen, werden die sozialpolitische Komponente nicht als Ersatz für deren Aufgeben annehmen und ihrerseits gegebenenfalls zu Hause bleiben. Am Ende zeigt sich, daß es keine »Staatsraison«, das heißt keine staatspolitische Vernunft jenseits realer politischer Entscheidungen gibt. Wenn dann aber der »Sachzwang« das politische Profil zerstört, kann es keine gute Sozialpolitik auf Kosten der Friedenspolitik geben – und umgekehrt. Es gibt bekanntlich keinen Sieg der Vernunft, der nicht der Sieg der Vernünftigen ist. Und deshalb auch keine »Staatsraison«, die dem politischen Handeln gleichsam vorgeschaltet ist.
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