von Wolfram Adolphi
In meiner Bilanz des Bücherjahres 2007 stehen die Romane zweier Frauen ganz obenan: Die Mittagsfrau von Julia Franck und Die Staubfängerin von Katja Oskamp. Kunststück, wird mancher sagen, schließlich haben beide Autorinnen für eben diese Bücher Preise eingeheimst: Julia Franck den Deutschen Buchpreis und Katja Oskamp den Anna Seghers Preis. Ja, antworte ich, eben.
Denn die Preise sind hochverdient. Weil es etwas ganz Seltenes ist, das Politische im scheinbar Unpolitischen und das Historische im ganz Persönlichen auf so unbedingt weibliche Weise ausgestellt zu finden.
Da ist die Helene bei Julia Franck: Wie sie aufbricht aus der Lausitz nach dem Martyrium der Pflege des auf den Tod verwundet aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrten Vaters gemeinsam mit Martha, der neun Jahre älteren Schwester, ins Berlin der zwanziger Jahre zur schillernden Tante Fanny und zu Leontine, Marthas geschmeidiger, funkeläugiger Geliebter; wie sie in Carl, mit dem sie über Lenz reden kann und Hofmannsthal nach der Ermüdung des Arbeitsalltags in der Apotheke und über die »Begierde im Verhältnis zur Liebe und beider Verhältnis zur Vernunft«, den Mann findet für immerdar, »weil es nichts an seinem Körper gab, vor dem sie eine Scheu gehabt hätte« und er »der Letzte« sein wollte für sie und also gesagt hatte »du bist meine Letzte, hörst du, meine süße Allerletzte«, und sie sich »entfachen« lassen kann mit ihm, denn »die Oper hat gezündet, das hat Knall gemacht«; wie sie dann vergeblich wartet auf diesen Carl, weil er mit dem Fahrrad verunglückt ist, und sich in eine zweite Liebe zwingt, zu Wilhelm diesmal, dem erfolgreichen Ingenieur, und es ist die Zeit, da »ein Kommunist nach dem anderen verhaftet wurde« und »SA-Truppen den roten Block in Wilmersdorf stürmten«; wie sie weiter diesem – ihrem – Wilhelm gestehen muß, daß sie »keine Papiere besitze, keinen Ahnenpaß, nichts«, und wenn sie einen besäße, »unter Bekenntnis der Mutter das Wort mosaisch stünde«, und er, der »keine Gefahr kannte und keine Hürde«, ihr, die er Alice nennt, mit falschen Papieren eine »saubere Herkunft« verschafft, um dann, nach der Hochzeit, sich als Nazi auch im Bett zu entpuppen, weil sie, die Undankbare, nicht die willfährige Jungfrau ist, auf die er Anspruch zu haben glaubt, sondern ihn – man denke nur – statt Unterwerfung zu gewinnen sucht mit jener eigenen, schönen Begierde, die ihr einst mit Carl zu entdecken vergönnt gewesen ist; und wie sie schließlich einen Sohn zur Welt bringt: Peter, gezeugt mit Wilhelm in längst eisig gewordener Nacht, und ihn irgendwann nach dem nun schon zweiten großen Krieg irgendwo bei Pasewalk seinem Schicksal bei Tante und Onkel überläßt – unfähig, fertigzuwerden mit allem, was ihr Hoffen und Lieben kaputt gemacht hat seit Carls Tod.
Und da ist die Tanja bei Katja Oskamp. Eine ganz andere Zeit – DDR und Nach-Wende-Deutschland –, ein ganz anderer Stil – wo Julia Franck in epischer, das Versinken im Wort nicht scheuender Breite erzählt, sucht Katja Oskamp die rasche, lakonische, auch mit Spott getränkte Sequenz, das Vorwärtstreibende –, eine ganz andere historische Spanne – wo Julia Franck vier Jahrzehnte mit zwei Kriegen in den Blick nimmt, sind es bei Katja Oskamp nur wenige Jahre, ganz einfach erscheinend im Vergleich –, und doch so erstaunliche Verwandtschaft. Auch hier geht es um das existentielle Schlüsselereignis Geburt – mit welch unmittelbarer Wucht das in beiden Büchern beschrieben ist! –, auch hier ist da ein Mann – Edgar –, der einfach nicht verstehen kann, worum es seiner Frau eigentlich zu tun ist, und auch hier geht es um ein Lebenstrauma, das die Heldin zu bewältigen versucht. Eines jeden Staubkörnchens will sie Herr werden, die Staubfängerin, als sie das Frühchen Paula endlich mit nach Hause nehmen darf, aber der Staub: Das sind die unverarbeiteten Erfahrungen des Lebens in der DDR, sind die von Nichtverstehen geprägten Beziehungen mit den Eltern – »sie sind angetreten zum Fahnenappell, ohne daß ich sie gerufen habe«, und »brav und stramm und weit weg stehen sie da, die Aktivisten der ersten Stunde« –, und ist das Begreifen, wie sehr die Verbindung mit Edgar Flucht gewesen ist, denn es hatte einst einen Karl (!) gegeben – Karl, dessen Hand »maßlos in allem« gewesen war und die sie »beinah vergessen hätte«. Das ist nicht klinisch rein zu kriegen per Staubfängerei, beim besten Willen nicht, und es quält sie lange und ausdauernd, und es wäre möglich, daß sie scheitert daran, aber hier nun entscheidet sich Katja Oskamp anders als Julia Franck: Es gibt ein Happy end. Das erscheint in Gestalt eines Fensterputzers, und der führt sie zurück in die Welt aus Fleisch und Blut, und nun vertilgt sie den Apfel »samt Gehäuse und Stiel«, wie sie es »vom Vater gelernt hatte«.
Julia Franck ist 1970 in Berlin/DDR geboren und 1978 mit Mutter und Zwillingsschwester über Westberlin in die Bundesrepublik gegangen. Katja Oskamp ist ebenfalls vom Jahrgang 1970, aus Leipzig stammend und in Berlin/DDR groß geworden bis über die Wende hinweg. Wie sie beide beschreiben, wie Frauen in die Geschichte geworfen sind und den eigenen Anspruch zu leben begehren wider alle Umstände und Unmöglichkeiten, ist ausgezeichnete, besten Gewissens zu empfehlende Literatur.
Julia Franck: Die Mittagsfrau, S. Fischer Verlag Frankfurt a. M. 2007, 430 Seiten, 19,90 Euro; Katja Oskamp: Die Staubfängerin, Amman Verlag & Co. Zürich 2007, 222 Seiten, 17,90 Euro
Schlagwörter: Julia Franck, Katja Oskamp, Wolfram Adolphi