von Walter Thomas Heyn
Für Susanne und Michael
Das Leben wird immer leichter. Die neue Technik macht alles übersichtlich, bunt, schnell und bedienerfreundlich. Die Hotlines sind Tag und Nacht geschaltet, und wenn Michel Normalnikow nicht durchblickt: ein Anruf genügt und zack – schon wird alles wie von Zauberhand gut.
Auch ich wollte mich dem Fortschritt nicht länger verschließen und wechselte in die beliebte Disziplin »Online-Banking«, weil mein Geldinstitut zwar einen Geldautomaten an einer teuren Tankstelle eingerichtet hat, aber weit und breit keine Filiale mehr betreibt, und mein altes Telefon Stralsund 211 softwaremäßig »leider« nicht mehr unterstützt wird.
Einige Wochen ging alles gut. Dann bemerkte die Bank (!), daß seit drei Monaten regelmäßig 500 Euro von meinem Konto abgebucht werden: Spieleinsätze für Online-Poker. Ich behersche dieses Spiel nicht und verabscheue es zudem. Niemals hätte ich so etwas im Netz mit wildfremden Typen gespielt und dann noch gegen so viel Geld. »Das ist doch nicht so schlimm« – sagte die Bankvertreterin in breitem Schwäbisch, »diese Leidenschaft haben viele. Man verliert eben auch manchmal«. »Ich hasse dieses Spiel«, antworte ich und weiter: »Wenn ich manchmal eben auch verliere, wie Sie das ausdrücken, dann muß ich doch auch mal gewinnen, wenigstens einen Euro«. Die Verbindung bricht zusammen. Eine halbe Stunde später entnehme ich der Website der Bank, daß »leider« kurzfristig der Service abgeschaltet werden mußte. 14 Tage später habe ich ganz viele Feinde, vom Hauswirt über die Kollegen bis zur Sie-sind-schon-wieder-zu-schnell-gefahren-Behörde. Alle wollen mein Bestes und zwar sofort, mein Geld nämlich. Genaugenommen wollen die lieben Mitmenschen natürlich nicht mein, sondern ihr Geld, und alle haben recht, Erpresser sind keine darunter. Ich habe das Geld ja auch, aber ich komme nicht ran. Meine Bank hatte nunmehr überhaupt keine Filiale mehr in Berlin, und nach Stuttgart wollte ich nicht reisen. Meine Frau borgte mir was und überwies das Nötigste per Hand bei der guten alten Sparkasse um die Ecke.
Nach drei Wochen bekomme ich Post aus London. Ein internationaler Poker-Abzockerring sei aufgeflogen, wird mir im Namen meiner Bank von einer wildfremden Firma mitgeteilt; ich sei einer der Geschädigten, und die Bank erkenne ihre Mitschuld an und übernehme anteilig 1000 Euro des Schadens. Näheres siehe AGB, Seite soundso, Absatz kannste-kaum-lesen, so klein. Auf 500 Euro minus bleibe ich sitzen. In so verzumwinkelter Zeit wie heute kam mir aber doch der Gedanke, ob das vielleicht ein abgekartetes Spiel gewesen sein könnte: wenn so eine Bank das bei zehntausend Kunden gleichzeitig macht …
Alle Banküberweisungen waren in der Zwischenzeit zurückgekommen, darunter ein Tausender, der dringendst im Augsburgischen für längst erbrachte Leistungen erwartet wurde.
Zwei arme Künstlermenschen, Sängerin und Cellist warteten täglich darauf. Aber das Geld war ja bei mir. Ich schaltete den Computer an und überwies das Geld zum zweiten Mal. Nach einer Woche kommt es zurück, zugleich ein Brief: Ihre Bank hat zu Ihrer Sicherheit das Online-Banking revolutioniert: neue Eingabemaske, neues Pin-System, neue Zugangsdaten usw. Ich bestelle alles neu, auch neue Geldkarten, Internet-Pin, Zugangs-Pin, Kennwort und so weiter.
Die Sängerin und der Cellist sind mittlerweile bei Dosen-Ravioli und Tütensuppen angekommen. Sie muß mit dem Fahrrad fahren, er hat nichts zu rauchen. Sie sind nicht mehr nett zu mir und glauben kein Wort. Nach zehn Tagen ist alles da. Ich stürze zum Computer, gebe alles ein, die Summe für die beiden Freunde zuerst. Der Computer brummt ein wenig und bleibt hängen. Dann wird der Bildschirm dunkel und bleibt es. Der Techniker, der am nächsten Tag kommt sagt: »Tja, das ist das Motherboard. Wackelkontakt. Kaufen Sie einen neuen Computer. Der hier bringt’s nicht mehr, der ist ja auch schon über 3 Jahre alt.«
Der nächste Techniker (ein Freund) kriegt es irgendwie hin. Ich haste per Maus-Dauerklick zur Überweisungsmaske des Online-Banking und erstarre. Die Bank hat an meine Überweisung eine Null hintendrangehängt. Statt eines Tausis fehlen zehntausend Euro. Ich werde kreidebleich. »Tja«, sagt der Techniker: »Wenn der Computer abstürzt, gibt es noch mal eine kleine Stromspitze. Und da Sie vorher eine Null gedrückt haben …«
Die Hotline der Bank spielt Strangers in the night, natürlich nur die ersten fünf Töne, damit keine GEMA-Gebühr bezahlt werden muß. Nach 32 Minuten erreiche ich jemanden. »Sie sind mein erster Fall« sagt eine weiche Stimme weit weg, denn die Bank ist mittlerweile norwegisches Eigentum. »Ich weiß auch nicht, was man da machen kann. Das steht hier nirgends.« Eine ältere Kollegin hilft. Irgendwie geht es noch. Das Geld kann zurückgeholt werden. Ich schicke fünf eingeschriebene Briefe mit fünf Geldbeträgen nach Augsburg. Das dauert eine Woche, kommt mir aber sicherer vor. Schöne neue Welt!
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