von Peter Petras
Pakistan ist immer wieder in den Schlagzeilen: wegen der Atomwaffen, die nicht in die Hände von islamischen »Terroristen« geraten sollen, wegen der Auseinandersetzungen um die Rechtmäßigkeit der Wahl des Putschistengenerals Musharraf zum pakistanischen Präsidenten, kurz nach Weihnachten wegen der Ermordung der prominenten Oppositionspolitikerin Benazir Bhutto und der Verschiebung der Parlamentswahlen auf Februar 2008. Die haben nun erstaunlich ruhig stattgefunden. Unklar bleibt, ob damit etwas auf Dauer gelöst ist.
Fragen wir zunächst: Was ist Pakistan? Viele Staaten in der Welt haben eine Grundierung in der früheren Geschichte, ruhen auf alten Staatlichkeiten oder Nationen wie Frankreich, Portugal oder Dänemark, manche sogar auf einer sehr alten Kultur wie China oder der Iran. Andere sind Ergebnis der europäischen kolonialen Eroberung, so in Afrika und Lateinamerika. Einige wenige Staaten sind ideologisch begründet worden. Pakistan ist solch ein Staat.
Die Bewegung des Widerstandes gegen die britische Kolonialherrschaft in der »Kronkolonie« Indien geht weit in das 19. Jahrhundert zurück. Im 20. Jahrhundert gab es eine schmale Gruppierung, die im Zweiten Weltkrieg bereit war, sich für die Unabhängigkeit auch mit dem Feind des Feindes, also Hitler-Deutschland zu verbünden. Der indische Nationalkongreß unter Führung von Jawaharlal Nehru bestand dagegen auf dem Prinzip der Gleichheit aller Menschen, der Grundrechte und der Demokratie und beschloß, Großbritannien im Kam pf gegen dieses Deutschland zu unterstützen, unter der Voraussetzung, daß auch die Inder dann diese Rechte in einem einheitlichen, unabhängigen Staat haben.
Die Allindische Moslemliga dagegen entwickelte seit den dreißiger Jahren die »Pakistan«-Idee und forderte die Schaffung von zwei Staaten auf dem indischen Subkontinent, eines hinduistischen und eines islamischen. Dazu sollten die westlichen Provinzen – das heutige Pakistan – und die 1500 Kilometer entfernt liegenden, muslimisch bewohnten Teile Bengalens – das frühere Ostpakistan, das 1971 als Bangladesh selbständig wurde – gehören. Damit war das Prinzip der nationalen Selbstbestimmung auf Religionsgemeinschaften ausgedehnt worden. Die Väter der Pakistan-Idee lieferten zugleich eine aggressive, rassistische Grundlage: Die »aktiven und realistischen Moslems« seien den »weichlichen, dem Mystizismus verfallenen« Hindus weit überlegen – und dies zu einer Zeit, da das Geschäftsleben in »Britisch-Indien« in hohem Maße von einem hinduistischen Bürgertum bestimmt wurde.
Die Unabhängigkeit und Staatsgründung 1947 war von zahllosen Gewaltakten begleitet. Sieben Millionen Hindus und Angehörige anderer, nicht-muslimischer Religionen wurden aus Pakistan nach Indien vertrieben, vier Millionen Moslems flohen aus dem heutigen Indien nach Pakistan. Die Zahl der Todesopfer der Gewalttaten und Flucht auf beiden Seiten wird insgesamt auf etwa 750000 geschätzt. 1947 bis 1949 und 1965 führten Indien und Pakistan zwei Kriege gegeneinander um die von beiden Seiten beanspruchte Region Kaschmir, 1971 trat Indien an die Seite der Unabhängigkeitsbewegung von Ostpakistan und führte einen dritten Krieg gegen Pakistan.
Im Unterschied zu Indien, in dessen Schatten Pakistan immer stand, konnten die Verhältnisse einer parlamentarischen Demokratie hier nie richtig Fuß fassen. Der erste Militärputsch brachte 1958 General Ayub Khan an die Macht, der 1969 von General Yahya Khan abgelöst wurde. Nach der Unabhängigkeit Ostpakistans und der Niederlage im Krieg gegen Indien übergab Yahya Khan 1971 die Macht an den Zivilisten Zulfikar Ali Bhutto, den Führer der Pakistanischen Volkspartei (PPP). Dieser änderte die Verfassung, versuchte die Rolle des Präsidenten auf repräsentative Funktionen zu beschränken und die Macht beim Premierminister zu konzentrieren, der von der Mehrheit im Parlament getragen wird. Diese Funktion übernahm er dann 1973. Nach Protesten der konkurrierenden Partei, der Muslimliga, wegen angeblichen Wahlbetrugs scheiterte 1977 die Bildung einer neuen, demokratisch gewählten Regierung. Daraufhin verkündete General Zia ul-Haq den Ausnahmezustand und errichtete die dritte Militärdiktatur. Da Bhutto weiter der populärste Politiker im Lande war, ließ Zia ihn zum Tode verurteilen und 1979 hinrichten.
Zia ul-Haq wollte jedoch nicht nur ein Militärmachthaber sein, sondern einem islamistischen Staat vorstehen. Er wurde so weltweit zu einem Vorreiter der Wiedereinführung der Scharia als Rechtsgrundlage: Diebstahl wurde wieder mit dem Abhacken der Hand geahndet. Inwiefern seine Islamisierung die Art und Weise des seit 1979 tobenden Krieges in Afghanistan beeinflußte oder seine Regierung durch den Krieg geprägt wurde, läßt sich nicht einfach beantworten. Die »Flüchtlingslager« in Pakistan waren nicht nur Brutstätten des gegen die sowjetische Besetzung Afghanistans gerichteten »Heiligen Krieges«, sondern bis heute eines Extremismus, der spätestens seit dem 11. September 2001 auch den Westen erreicht hat. Die Taliban galten lange Zeit als Kreation des pakistanischen Geheimdienstes, der es nie aufgegeben hatte, Kontrolle über Afghanistan auszuüben.
Zia ul-Haq starb 1988 bei einem Flugzeugabsturz; ob dies ein Unfall oder ein Attentat war, ist bis heute ungeklärt. Danach fanden erstmals wieder allgemeine Wahlen statt. Mit Benazir Bhutto, der Tochter von Zulfikar Ali Bhutto, wurde erstmals eine Frau Premierministerin eines muslimischen Staates. Sie wurde 1990 durch den Führer der Muslimliga, Nawaz Sharif, abgelöst, den sie 1993 wieder ablöste, um 1997 von ihm wieder abgelöst zu werden. Dessen Regierung wurde 1999 durch General Pervez Musharraf abgesetzt, um die nunmehr vierte Militärdiktatur in Pakistan zu errichten. Um deren Schicksal geht es seit der umstrittenen »Wiederwahl« Musharrafs zum Präsidenten Pakistans am 6. Oktober 2007.
Benazir Bhutto kehrte nach acht Jahren Exil am 18. Oktober 2007 nach Pakistan zurück, mit dem erklärten Ziel, wieder die Mehrheit im Parlament und die Verantwortung als Ministerpräsidentin zu erringen. Das tat sie gegen den Willen von Musharraf. Das Netzwerk al-Qaida hatte erklärt, sie zu töten. Sie starb am 27. Dezember 2007 nach einer Wahlkampfveranstaltung als Opfer eines Attentats. Die Regierung machte al-Qaida für das Attentat verantwortlich, während dieses »eine Verschwörung der Regierung, der Armee und der Geheimdienste« verantwortlich macht. Benazir Bhutto hat postum eine Autobiographie hinterlassen. Auszüge erschienen am 3. Februar 2008 in der Londoner Sunday Times. Dort verweist sie darauf, daß die Militanz, die gegen die Demokratie gerichtet ist, unter der Diktatur von Zia geschaffen wurde und sich unter Musharraf fortsetzt. Das Problem besteht in der Verbindung zwischen der pakistanischen Regierung und dem islamischen Terrorismus. Diese zu zerstören, sollte das vorrangige Ziel ihrer Regierung sein – die sie ja nun nicht antreten konnte. Beide Gegner hatten Gründe.
Die verschobene Parlamentswahl fand nun am 18. Februar 2008 statt. Nach der Auszählung der Stimmzettel wurde Bhuttos PPP, der nun ihr Witwer vorsteht, stärkste Partei, gefolgt von der Muslimliga, an deren Spitze weiter Nawaz Sharif steht. Die Partei Musharrafs erreichte nur den dritten Platz. In welchem Verhältnis Militärdiktatur und Wahlen, bekundete Freundschaft zu den USA und Förderung des islamischen Terrorismus in Pakistan künftig stehen, ist offen, vielleicht offener denn je. Atombomben hat das Land seit 1998. Aus den USA wird vermeldet, sie würden daran arbeiten, diese Waffen unter ihre Kontrolle zu bringen. »Verbündete« können auch schwierig sein.
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