Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 17. März 2008, Heft 6

Kurs: Maßnahmestaat

von Erhard Crome

Sie versuchen es weiter. Immer wieder. Das Zentralorgan des bürgerlichen Deutschlands versucht wieder einmal, Stimmung zu machen für den Maßnahmestaat, der den Staat des Grundgesetzes, den Staat, in dem die Würde des Menschen als »unantastbar« gilt, ablöst. Eingriffe in die Rechte der Person sollen zum Normalfall werden: Schutzhaft, »harte« Formen der Befragung, sprich: Folter, massenhafte Ausspähung von privaten Computern, Kontendaten und anderen Informationen, die bisher dem Schutz der Grundrechte unterlagen. Die Trennung zwischen polizeilichen und militärischen Aufgaben soll aufgehoben werden, der Unterschied zwischen innerer und äußerer Sicherheit verschwinden.

Schon die Überschrift kommt klotzig: »Der Terrorist will nicht resozialisiert werden« (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. Februar 2008). Da unser Strafrechtssystem human sei, weil auf Resozialisierung gerichtet, stelle sich derjenige, der nicht »resozialisiert werden« will, außerhalb der Rechtsordnung, die dann für ihn auch nicht mehr gelten sollte. So die Aussage, die bereits in der Überschrift liegt. Weiter geht es, jetzt im Vorspruch: »Wolfgang Schäuble hat recht: Die Trennungsgebote des rechtsstaatlichen Herkommens sind in der Weltlage, die der Terrorismus geschaffen hat, überholt. Nötig ist ein neuartiges Präventionsrecht, das Elemente des Kriegsrechts aufnehmen muß.«

Die Bush-Regierung der USA hat sich nach dem 11. September unter Verweis auf Bin Laden ihren rechtsfreien Folterraum in Guantanamo und anderswo geschaffen, den sie gegen die Angriffe des Obersten Gerichts des eigenen Landes und alle Schlappschwänze und Defaitisten mutig zu verteidigen sucht. Darum beneiden offenbar etliche Leute hierzulande die USA. Sie monieren, daß es immer noch Skrupel im Lande gibt. Und die sollen nun endlich ausgetrieben werden. Als vor einigen Jahren um »Rettungsfolter« diskutiert wurde – die Polizeibehörden sollten das Recht erhalten, Entführer oder eben auch mutmaßliche »Terroristen« foltern zu dürfen, um sachdienliche Hinweise aus ihnen herauszuholen – wurde das in den Medien breit diskutiert und abgewiesen, auch durch die damit befaßten Gerichte.

Dann wurde gefordert, Attentätern – oder denen, die man dafür hält – den Schutz der Menschenrechte nicht zu gewähren. Gegen »Schläfer«, die nur auf ihre große Stunde warten, brauche man keinen konkreten Anfangsverdacht, es bedürfe der Vorbeugehaft. »Der prinzipiell Abweichende … kann nicht als Bürger behandelt, sondern muß als Feind bekriegt werden.« Das schrieb ein angesehener Strafrechtsprofessor aus Bonn mit Namen Günther Jakobs. Das »justizförmige« Strafverfahrensrecht müsse in ein »kriegsförmiges« verwandelt werden, wie in den USA geschehen, in ein »Feindstrafrecht«. Dagegen richteten sich viele Stellungnahmen, von der jungen Welt, über die Blätter für allerlei Politik bis zum Merkur, der Zeitschrift für das exaltierte westdeutsche Bildungsbürgertum.

Der Autor des jetzigen Artikels in der FAZ heißt Michael Pawlik. Er ist Professor in Regensburg. »Präventionsrecht« klingt natürlich freundlicher als »Feindstrafrecht«. Man lernt. Pawlik ist Jahrgang 1965 und hat bei Jakobs studiert. Eine seiner Schriften, als noch halbjunger Wissenschaftler, heißt: Der rechtfertigende Notstand, erschienen 2002. Im Jahre 2007 war er einer der beiden Herausgeber der Festschrift zu Jakobs’ siebzigstem Geburtstag. Nun rechtfertigt also der Schüler den Lehrer, und sie alle vereint der feste Wille, daß es ein Ende haben soll mit den Bedenkenträgereien des Rechtsstaates in Deutschland.

Der Ausgangspunkt der Argumentationsfigur kommt apodiktisch und ohne Beweisführung, einfach gesetzt: »Der moderne Terrorismus ist eine Form der Kriegführung, und zu seiner Bekämpfung bedarf es eines neuartigen Präventionsrechts mit kriegsrechtlichen Elementen.« Im Kontext des Artikels wird dann klar: Gemeint ist der »islamistische Terrorismus«. Der aber wird weder in seinen Ursachen noch den Artikulationsformen und Folgen irgendwie analytisch angegangen. Das braucht solche Setzung auch nicht. Der Feind ist eben da: Fürchtet Euch, so wird Euch der Schäuble retten!

Der nächste Schritt ist ein Verweis auf die »Neuen Kriege«. Hier liefert der Berliner Ordinarius für Kriegstheorie, Herfried Münkler, das Argument: Bei Clausewitz sei Krieg noch als eine Fortsetzung des Duells mit anderen Mitteln verstanden worden, bei dem beide Seiten eine gewisse Chance auf den Sieg hatten. »Heute befinden sich der Pilot eines Kampfbombers oder die Besatzung eines Kriegsschiffs, von dem aus Raketen abgefeuert werden, in aller Regel außerhalb der Reichweite der gegnerischen Waffen.« Dem stehe nun der »islamistische Terrorismus« gegenüber, der sich perfiderweise mit dieser Situation nicht abfinden wolle. Er »beantwortet diese Asymmetrie mit einer weiteren Asymmetrie: Während sein Gegner sich unangreifbar macht, macht er sich unsichtbar und dank seiner transnationalen Netzwerkstrukturen weitgehend ungreifbar.« Um ihn ausfindig zu machen, gelte dann eben nicht mehr allgemein der Grundsatz der Unschuldsvermutung, sondern der Schuldvermutung. Und da müßten die biederen Bürger es schon hinnehmen, wenn sie mal in die Fänge der Apparate geraten. Wir sind im Krieg! Da gibt es eben Kollateralschäden! Und das können dann schon mal deine Rechte sein! So der Rechtsprofessor.

Dieser »Gegner«, wenn man denn Leute dingfest gemacht hat, die dafür zu halten sind, ist »den zur Neutralisierung der Gefahr erforderlichen und nicht schlechthin unverhältnismäßigen Maßnahmen« zu unterwerfen. »Dazu zählen vor allem die Inhaftierung bis zum Ende der Feindseligkeiten und die Tötung, und zwar grundsätzlich auch außerhalb konkreter Kampfhandlungen«.

Da der »Krieg gegen den Terror« bekanntlich nie endet, zumindest nicht in den nächsten fünfzig Jahren, bedeutet dies: Wegsperren bis zum Ende des Lebens, was es in der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland bisher nicht gibt. Und Tötung? Ist nicht die Todesstrafe abgeschafft hierzulande? In der Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Landkrieges von 1907 ist in Artikel 4 übrigens festgelegt, daß Kriegsgefangene »mit Menschlichkeit behandelt werden« sollen. Von Tötung »außerhalb konkreter Kampfhandlungen«, das heißt Ermordung im Gefängnis oder Gefangenenlager, ist da nicht die Rede.

Plausibilität soll das erhalten, indem solche schwierigen Rechtsfragen gar nicht erst gestellt werden. Münkler wird zitiert mit dem Satz, die mit den asymmetrischen technischen Mitteln geführten Kriege des Westens hätten sich »gewissen Formen der Schädlingsbekämpfung angenähert«. Bei dem ist das ein zynischer Terminus technicus, bei Pawlik auf die »islamistischen Terroristen« bezogen. Der Feind ist nicht einfach ein Feind, er ist ein »Schädling«, und seine Ermordung »Schädlingsbekämpfung«. Mit genau dieser Argumentationsfigur hatten die Nazis sich selbst ermächtigt, unheilbar Kranke, Juden, Slawen, Roma und andere nach Belieben außer Recht zu stellen und umzubringen.