von Hajo Jasper
Unter einer Kriegserklärung stellt man sich üblicherweise einen formellen Akt vor: Abgesandte des einen Staates geben beim erklärten Feind eine entsprechende Note ab. Steif deuten alle Beteiligten zum ultimativen Abschied eine Verbeugung an und fortan beginnen die involvierten Völker, einander umzubringen.
Nun sind Kriege allerdings nicht nur zwischenstaatliche Akte. Und sie sind auch nicht – wie etwa der klassische Bürgerkrieg – zwangsläufig mit physischer Gewaltanwendung verbunden. Was in Sachen Frieden ebenso erstrebenswert ist wie es selten vorkommt, selbigen nämlich ohne Waffen zu schaffen, geht im sozialen Krieg allemal.
Ein weiterer Unterschied: Soziale Kriegserklärungen verbinden sich nicht unbedingt mit einem einzigen Datum; sie können auch portionsweise ausgesprochen werden.
Genau das kann, wer die heimische Innenpolitik verfolgt, heute in immer kürzeren Abständen und in immer größerer Offenheit konstatieren. Auf einschlägige Entäußerung aus den Reihen der sogenannten politischen Klasse sei hier verzichtet. Wir halten uns lieber gleich an das Original der Macht – das Finanzkapital. Binnen Jahresfrist hat das Blättchen mehrfach O-Töne aus diesem Lager abgedruckt: Zwei zur Erinnerung:
Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, ließ das ZDF einst wissen: »Wir müssen für das gleiche Gehalt mehr arbeiten, und wenn wir mehr verdienen wollen, müssen wir noch eins drauflegen bei der Vermehrung der Arbeitszeit. Und das bedeutet nicht nur Wochenarbeitszeit, das bedeutet auch, daß wir beispielsweise die Lebensarbeitszeit wirklich verlängern müssen.«
Werner Sinn, Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung gab der Süddeutschen Zeitung unter anderem zu Protokoll: »Mit etwas mehr Ungerechtigkeit lebt es sich besser. Etwas mehr Ungleichheit in der Einkommensverteilung bewirkt auch für die weniger gut dabei Wegkommenden letztlich einen höheren Lebensstandard, als wenn man ein egalitäres System schafft, wo alle das gleiche kriegen und alle gleichermaßen arm sind. Das haben wir doch im Sozialismus Ostdeutschlands probiert.« So hieß es gestern.
Mit Bezug auf die Hessenwahl hat der Chefvolkswirt der Allianz, Michael Heise, dem Handelsblatt nun gar folgendes erklärt: Die Politik habe der Stimmung des Volkes »enorm Rechnung getragen … Ich wünsche mir von der Bundesregierung, speziell von Bundeskanzlerin Merkel, daß sie sich davon distanziert.«
»Gerade in konjunkturell schwieriger werdenden Zeiten hätte ein klares Signal für eine weitere Modernisierung des Wirtschaftsstandorts Deutschland gut getan«, zitiert das gleiche Blatt Anton F. Börner, den Präsidenten des Bundesverbandes des Deutschen Groß- und Außenhandels. Einmal mehr zeige sich, daß die Wähler sich mindestens genauso schwer täten wie die Politik, ökonomische Gesetze zu akzeptieren. Leidtragende seien wie immer die Schwächsten der Gesellschaft, Rentner, Arbeitslose und Geringverdiener. »Denn von dem Ergebnis gehen keine Impulse aus für neue Investitionen und zusätzliche Arbeitsplätze. Sollte es zum flächendeckenden Mindestlohn kommen, werden viele einfache Arbeitsplätze verschwinden.«
Und freilich fehlt auch BDI-Präsident Thurmann nicht in diesem Potpourri zur Hessenwahl: »Die Politik muß aufhören, nur über soziale Gerechtigkeit und Umverteilung zu reden«. Sie müsse statt dessen dafür sorgen, daß die Wirtschaft Arbeitsplätze schaffen kann. »Das ist sozial.« Und auf daß sein Verständnis von Gerechtigkeit unmißverständlich sei, schob er die ausdrückliche Warnung nach, nun die Debatte über einen Mindestlohn zu forcieren. Das schwäche den Standort Deutschland, koste Wachstum und Arbeitsplätze.
No comment …
Vor gut zwanzig Jahren befaßte sich westlich der Elbe das Feuilleton ausgiebig mit dem Begriff der Zweidrittelgesellschaft. Ein Drittel, so der semantische Gehalt dieser Wortschöpfung, ist vom allgemeinen Wohlstand, wie ihn die übrigen zwei Drittel genießen, ausgeschlossen oder doch vom Ausschluß bedroht. Viele sorgenvolle Worte sind seinerzeit dazu gesagt, geschrieben und gesendet worden – auch auf ostelbischer Seite übrigens, wo man diese Debatte gar zu gern kolportierte, um vom eigenen – allerdings sehr anderen – Niedergang abzulenken. Seit dem Millennium träumt man an nunmehr gesamtdeutschen Kaminen von solch seligen Zeiten. Denn wenn es damals womöglich wirklich »nur« um ein Drittel ging, eilen wir heute auf dem Weg zur Proportionsumkehr munter voran. Das allein ist schon schlimm genug. Im Unterschied zu den siebziger und achtziger Jahren ist heute aber nicht nur Massenarbeitslosigkeit zu beklagen sondern waschechte Armut – bei Kindern, bei Jugendlichen, bei arbeitslosen Erwerbsfähigen, bei Rentnern. Und: auch bei Menschen »mit einer Arbeit«! Und dies in einer Zeit, in der die Gewinne der meisten Unternehmen explodieren – von der persönlichen Raffgier ihrer Exponenten ganz zu schweigen. Die grundgesetzliche Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums ist endgültig zur Farce geraten. »Rauf auf die Titanic – und am besten an die Bar!« lautet die Devise …
»Manchem wird erst jetzt bewußt, wie sehr die Konkurrenz des Kommunismus, solange sie bestand, auch den Kapitalismus gebändigt hat. Aus sich heraus sind Demokratie und Marktwirtschaft ebenso wenig gegen Selbstzerstörung gefeit wie totalitäre Systeme. Im Unterschied zu diesen verfügen sie zwar über eingebaute Bremsen, doch auch die bedürfen der ständigen Überprüfung und Wartung. Deshalb war es gut, daß der Bundespräsident die Frage aufwarf, wie viel Ungleichheit unserer Gesellschaft zuträglich ist, um ihre Vitalität zu erhalten. Bevor andere die Systemfrage stellen, sollten es die Eliten tun.« Das war dieser Tage übrigens in der FAZ zu lesen. Und wenn man dort schon das Fracksausen bekommt …
Nun haben sich die Linken Zeit ihrer organisierten Existenz schon zu oft und zu schwerwiegend ge- und sogar verirrt, als daß sie als Kronzeugen für alle Fälle aufzurufen wären. In diesem Falle darf man aber sehr wohl auf Max Reimann zitieren, der die Unterschrift der KPD zum Grundgesetz gegenüber dem Ersten Deutschen Bundestag mit den Worten verweigerte: »Wir unterschreiben nicht.. Es wird jedoch der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben.« Wem diese Quelle zu linksradikal ist, dem sei der diesem Vorwurf unverdächtige Churchill anempfohlen: »Demokratie ist die schlechteste Regierungsform – außer all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.«
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