Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 4. Februar 2008, Heft 3

Nach Annapolis

von Peter Petras

Außenminister Steinmeier hat am 23. Januar 2008 in Berlin eine Initiative Zukunft für Palästina gestartet. Dazu war der derzeitige palästinensische Premier Salam Fayyad angereist – das ist nicht der gewählte, denn die freien Wahlen am 25. Januar 2006 hatte die Hamas gewonnen, sondern der vom Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, nach dem Scheitern der Einheitsregierung aus Hamas und PLO eingesetzte Ministerpräsident, dessen Wirkungsbereich sich faktisch auf das Westjordangebiet (Westbank) beschränkt.

Im Gazastreifen dominiert indessen die Hamas, die in den Medien stets als islamistisch und terroristisch apostrophiert wird. Sie trat erstmals 1987 öffentlich in Erscheinung und versuchte als konservativ-islamische Gruppierung im Gazastreifen und im Westjordangebiet der weltlich orientierten PLO den Einfluß streitig zu machen. Es hieß, daß genau deshalb die israelische Besatzungsmacht die Hamas anfangs unterstützte. PLO-Chef Yasser Arafat galt als gefährlicher Terrorist. Heute ist es umgekehrt: Abbas und die PLO werden als friedens- und kompromißfähig angesehen, während die Hamas als terroristische Organisation bekämpft wird.

Im Jahre 2007 wurden durch Militäreinsätze der israelischen Armee in den Gebieten der Palästinenser, an den israelischen »Checkpoints« an den Straßen im Westjordangebiet, durch Einsätze der Luftstreitkräfte Israels und durch gezielte Tötungen palästinensischer Funktionäre und Aktivisten 404 Palästinenser getötet und 1721 verwundet.

Zur gleichen Zeit kamen zehn Israelis ums Leben, darunter fünf Soldaten, die dabei waren, Angriffe in der Westbank und im Gazastreifen durchzuführen. »Israel benutzt Sicherheitsinteressen als einen Vorwand für ansteigende Aggressionen gegen Palästinenser«, sagte der ehemalige palästinensische Informationsminister Mustafa Barghouti Anfang Januar 2008. Die israelische Zeitung Haaretz hatte schon früher darauf verwiesen, daß besonders palästinensische Kinder zu den Opfern zählen. Dies geschehe nicht aus Versehen, sondern aus einer Politik heraus, die »durch einen erschreckend lockeren Abzugsfinger« und eine »Entmenschlichung der Palästinenser« geprägt sei, während die Mehrheit der Israelis dazu schweigt.

Die Hamas hatte unterdessen Waffenstillstandsangebote an die Adresse Israels gerichtet, während militante Palästinenser auf israelische Grenzstädte vom Gazastreifen aus selbstgebaute Kassam-Raketen und Mörsergranaten abfeuern. Sie folgen damit der irrwitzigen Vorstellung, ein »Gleichgewicht der Angst« zu schaffen: Wenn die Palästinenser schon nicht normal leben können angesichts der allnächtlichen israelischen Militäreinsätze, soll die israelische Bevölkerung dies auch nicht können. Tatsächlich befördert dies jedoch nur die Spirale der Gewalt.

Die israelische Regierung Olmert hatte den Gaza-Streifen abriegeln lassen und die notwendige Versorgung mit Wasser, Strom, Treibstoffen und Lebensmitteln unterbunden. Die Bevölkerung des Gaza-Streifens, 1,1 Millionen Menschen, waren in Geiselhaft genommen. Zur gleichen Zeit, da in Berlin Steinmeier und Fayyad über ihr Projekt redeten, strömten hunderttausende Palästinenser aus dem Gazastreifen nach Ägypten, um sich mit dem Notwendigsten zu versorgen, nachdem palästinensische Gruppen an mehreren Stellen die nach Ägypten zu ebenfalls befestigten Grenzanlagen gesprengt hatten. Der ägyptische Präsident hatte den Einsatz militärischer Kräfte gegen die palästinensische Zivilbevölkerung untersagt.

An dem Treffen in Annapolis Ende November 2007 hatten nicht nur der US-amerikanische Präsident Bush, der israelische Ministerpräsident und der palästinensische Präsident, sondern Politiker und Diplomaten aus vielen Ländern der Welt teilgenommen. Nachdem Bushs Projekt vom Greater Middle East in den Kriegen im Irak und in Afghanistan versunken ist, soll eine positive Leistung doch den Weg in die Geschichtsbücher finden: die »abschließende Lösung« des israelisch-palästinensischen Konflikts. Vorgänger Bill Clinton hatte dies nicht geschafft. In Washington reichten sich zwar 1993 PLO-Chef Arafat und der damalige israelische Ministerpräsident Jizhak Rabin die Hand, nachdem sie zuvor eine Erklärung über die Prinzipien für eine palästinensische Selbstverwaltung unterzeichnet hatten. Rabin wurde jedoch von einem israelischen Terroristen ermordet – wegen seines Entgegenkommens gegenüber den Palästinensern. Im Jahre 2000 hatte Clinton dann Arafat und den israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak in Camp David zu Gast. Die beabsichtigte Vereinbarung über die Schaffung eines palästinensischen Staates kam jedoch nicht zustande. Das will Bush nun erreichen?

Das Kernproblem ist sechzig Jahre alt. Der Teilungsplan der Vereinten Nationen, verabschiedet von der Vollversammlung in Resolution 181 am 29. November 1947, sah die Bildung eines jüdischen und eines arabischen Staates vor. 1948, als das britische »Mandat« in Palästina endete, wurde zwar der Staat Israel gegründet, der arabisch-palästinensische jedoch bis heute nicht. Diese Geschichte begann mit Krieg und der Vertreibung von 800000 Palästinensern – das war die Hälfte der ursprünglichen Bevölkerung Palästinas, der Zerstörung von 531 Dörfern und der Entvölkerung ganzer Stadtteile. Der israelische Historiker Ilan Pappe schrieb dazu: »Als die zionistische Bewegung ihren Nationalstaat gründete, war es keineswegs so, daß sie einen Krieg führte, der ›tragischerweise, aber unvermeidbar‹ zur Vertreibung eines ›Teils‹ der heimischen Bevölkerung führte; vielmehr war es umgekehrt: Hauptziel war die ethnische Säuberung ganz Palästinas, das die Bewegung für ihren neuen Staat haben wollte.«

Das setzte sich seither fort. Die Resolution 242 des UNO-Sicherheitsrates forderte Israel zum Rückzug aus den im Juni-Krieg 1967 besetzten Gebieten auf, erkannte damit jedoch die Grenzen Israels von vor Kriegsbeginn an. Die Palästinenser hatten sich schon unter Arafat mit der Westbank und dem Gaza-Streifen zufriedengegeben, erwarteten aber immer noch, daß Jerusalem auch ihre Hauptstadt sein sollte. Das waren nun noch 22 Prozent des britischen Mandatsgebietes Palästina. Durch den israelischen Siedlungsbau seit 1967, den Mauerbau der vergangenen Jahre sowie den Bau von Verbindungsstraßen, die nur von Israelis befahren werden dürfen, verbleibt davon nach Schätzungen noch etwa die Hälfte des Territoriums, und diese ist zerlegt in Enklaven, die weder wirtschaftlich noch sozial verbunden sind.

Die Rede ist jetzt von Gebietsausgleichen und Verbindungsstraßen zwischen den palästinensischen Gebieten. Wenn die Straßen – nur für Israelis – oberirdisch sind, wird es dann für die Palästinenser Tunnelverbindungen geben? Ursprünglich war die Hoffnung auf einen lebensfähigen Staat Palästina. Herauskommen wird neben dem militärisch, wirtschaftlich und politisch übermächtigen Israel eine Art »Bantustan«, das die Attribute eines Staates hat, aber nicht wirklich lebensfähig ist. Da muß dann schon die »internationale Gemeinschaft« einspringen. Steinmeiers Initiative ist solch eine Maßnahme, allerdings konzentriert auf die Westbank: Sie soll wirtschaftlich attraktiv sein, damit die Palästinenser das nächste Mal wieder richtig wählen, dann käme auch der Friede. Als sei die Hamas nicht das Ergebnis von Jahrzehnten des Unfriedens.