von Jochen Reinert
Jens-Fietje Dwars hat keinerlei Scheu vor großen Namen. Nach Biographien über Friedrich Nietzsche und Johannes R. Becher legte der Jenaer Literaturwissenschaftler und Filmemacher eine Lebensbeschreibung von Peter Weiss vor – und dies innerhalb kurzer Zeit und, wie vom Verlag verlangt, auf nur 260 Seiten. Zweifellos ein Wagnis, dessen sich Dwars auch bewußt ist: Auf der Buchpremiere in der Hellersdorfer Peter-Weiss-Bibliothek am 25. Todestag des Stockholmer Autors, wollte er sein Werk auch »eher als eine Skizze, ein Essay oder ein Porträt« verstanden wissen. Der Aufbau Verlag feiert das Buch als »Wiederentdeckung des wichtigsten Autors der deutschen Nachkriegsliteratur«. Ob Peter Weiss – von Dwars zu Recht als »universeller Künstler von Weltrang« apostrophiert – allerdings einen solchen Platz in der deutschen Literaturgeschichte erhält, wird sich wohl erst in Zukunft zeigen. Auch von einer Wiederentdeckung kann vorerst keine Rede sein. Die Forscher haben Weiss zwar nie vergessen, aber kein deutschsprachiger Autor von Rang war in den Jahren seit der Wende 1989/90 weniger präsent als er.
Dwars versucht eine Antwort in Form von Fragen: »Warum wollen wir nichts mehr von ihm wissen? Streichen wir diesen Autor aus unserem Horizont, weil er an vergangene Hoffnungen erinnert, die uns heute peinlich sind? Weil er den Finger in Wunden gelegt hat, die nur mühsam vernarben?« Dwars weiß wovon er spricht. Er gehörte zu jener Jenaer universitären Arbeitsgruppe zur Ästhetik des Widerstands, die sich, 1984 gebildet, heftig an den realsozialistischen Realitäten rieb – Ingo Schulze vermittelte in seiner Rede zur Entgegennahme des Bochumer Peter-Weiss-Preises einen lebendigen Eindruck davon.
Zu distanziertem Betrachten des Weiss’schen Lebenswerkes mag auch beigetragen haben, daß ihm häufig das Etikett eines »Unzugehörigen« angeheftet wird. Interessanterweise stellt Dwars aber nicht – wie in dem von ihm mit Ullrich Kasten produzierten Film Peter Weiss. Der Unzugehörige – Entwurzelung und Isoliertheit des Künstlers in den Vordergrund. Zwar schildert er ausführlich die Schwierigkeiten des deutschsprachigen Emigranten bei der Annäherung an Schweden und bei der Suche nach seinem künstlerischen und politischen Standort. Aber wir erfahren auch, wie Weiss schon in seinem Pariser Wendejahr 1947 erlebte, daß er »teilhaben konnte an einem Austausch von Gedanken, der ringsum stattfand, an kein Land gebunden«. Dieser Austausch weitete sich nach seinem Welterfolg mit Marat stark aus – er sah sich wie kaum ein anderer Künstler seiner Zeit als Internationalist.
Überhaupt fühlte sich Weiss, der bereits 1946 die schwedische Staatsbürgerschaft erhielt, auch anderweitig sehr »zugehörig« – seiner Familie, zunehmend seiner Wahlheimat, die ihm ein sicheres Domizil bot, darüber hinaus seinen politischen Freunden in der schwedischen Linkspartei-Kommunisten (dort Mitglied seit 1968) und seinen vielen Partnern in der DDR und der Bundesrepublik. So erfährt der Leser manches über seine Frau Gunilla Palmstierna-Weiss und seine Tochter Nadja oder über seine Kooperation mit dem Rostocker Literaturwissenschaftler Manfred Haiduk und seinem Frankfurter Verleger Siegfried Unseld. Allerdings bleibt Weiss’ Schwedenbezug – etwa seine Mitwirkung im Kulturausschuß der Linkspartei und seinen in »Rekonvaleszenz« dokumentierten Dialog mit dem eurokommunistischen Stockholmer Politiker und Ökonomen C. H. Hermansson – weitgehend im Dunkeln. Darüber sei leider noch allzuwenig geforscht worden, hieß es auch an jenem Abend in Hellersdorf – obwohl die Germanistin Wiebke Ankersen schon vor einiger Zeit eine Dissertation zu Weiss und Schweden vorlegte.
Der Jenaer Weiss-Enthusiast der achtziger Jahre hat nicht zuletzt die komplizierte Beziehung des Wahlschweden zur DDR thematisiert – beginnend mit der Kooperation mit Rostocks Volkstheater bei der legendären Marat-Aufführung. Besonders angetan ist Weiss von der wissenschaftlichen Analyse Haiduks: »Ausdeuter mit Blick für die innere Kontinuität. Sehr stark der Eindruck, wie marxistische Sehweise die Herkunft aller Themen u. Entwicklungsgänge erkennt – und sie einzuordnen versteht in die Gegenwart.« Das Rostocker Schlüsselerlebnis von 1965 hat mancherlei Folgen: In der DDR wird Weiss Korrespondierendes Mitglied der Akademie der Künste, in seiner Wahlheimat Präsidiumsmitglied der Freundschaftsgesellschaft Schweden-DDR.
Doch Weiss und die DDR – das bleibt ein Wechselbad. Besonders schwer macht ihm zu schaffen, daß er im November 1971 am Grenzübergang Bahnhof Friedrichstraße festgehalten und nach mehreren Stunden des Wartens als persona non grata abgewiesen wird. Allerdings, notiert Dwars, kann er nach einer Intervention von Akademiepräsident Konrad Wolf noch am gleichen Tag einreisen und wird kurz darauf von den DDR-Größen Hager und Abusch empfangen. Neue Enttäuschungen über die langjährige Weigerung, die Ästhetik des Widerstands in der DDR zu veröffentlichen – bis sie 1982, von Haiduk betreut, als authentische Ausgabe »letzter Hand« im Berliner Henschelverlag erscheint.
In den Weiss’schen Notizbüchern, die Dwars hin und wieder zitiert, finden sich heftige Kritiken an der Engstirnigkeit der DDR-Oberen und der Beschaffenheit des Landes, das er aber als soziales Experiment keineswegs in Bausch und Bogen ablehnte. Um so deutlicher wird, daß fast zwanzig Jahre nach dem unrühmlichen Ende der DDR noch immer eine ausführlichere, gediegene Arbeit fehlt über jene Seite des Triangels Stockholm-Westberlin-Ostberlin, in dem Weiss laut seiner Frau Gunilla lebte.
Gewiß, das Weiss-Buch von Dwars läßt Wünsche offen. Doch für eine neue Begegnung mit dem Künstler und undogmatischen Linken ist das knappe, erfrischende Lebensbild zweifellos ein anregender Einstieg. Und – für all jene, die im »Denken in Gegensätzen« geübt sind und an die Veränderbarkeit der Welt glauben, ist Weiss allemal ein Zugehöriger.
Jens-Fietje Dwars: Und dennoch Hoffnung. Peter Weiss. Eine Biographie, Aufbau Verlag Berlin 2007, 302 Seiten, 24,95 Euro
Schlagwörter: Jens-Fietje Dwars, Jochen Reinert, Peter Weiss