von Kai Agthe
Aber wohin ich in Wahrheit gehöre, das ist die dicht umwaldete Seenplatte Mecklenburgs von Plau bis Templin, entlang der Elbe und der Havel …« Das notierte Uwe Johnson, der zeit seines knapp fünfzig Jahre währenden Lebens ähnlich spröde war wie die nordostdeutsche Landschaft. Die war ihm nicht nur Heimat, sondern auch zentrales Thema seines Schreibens. Wohin er in Wahrheit gehört, läßt sich inzwischen ganz genau ermitteln: nach Klütz, einem Ort in Nordwestmecklenburg – in dem Uwe Johnson wohl selbst nie gewesen ist. Dort hat im April 2006 das Uwe-Johnson-Literaturhaus seine Pforten geöffnet. Das darf durchaus wörtlich verstanden werden, denn die Einrichtung ist in einem Getreidespeicher zu finden, der um 1890 errichtet wurde und durch ein wuchtiges Tor von der Straße mit Namen Im Thurow her zu betreten ist. Im Zuge der Rekonstruktion des Gebäudes wurde die ursprüngliche Fassadengestalt, bis hin zu den zahlreichen Fensterläden und dem Lastenkran, belassen beziehungsweise wiederhergestellt. Die auf zwei Stockwerke verteilte Dauerausstellung zu Uwe Johnson (1934-1984) ist das Herzstück dieses Literaturhauses. Aber auch die Stadtinformation und die Bibliothek haben hier ihren Platz gefunden.
Klütz als Erinnerungsort für Uwe Johnson zu küren, hatte diesen Grund: Der 23 Kilometer nordwestlich von Wismar gelegene Flecken ist eine Vorlage für das Jerichow in Uwe Johnsons Hauptwerk, dem Großroman Jahrestage (1970-1983). Ein diesbezüglicher Hinweis ist in einem am 13. Dezember 1969 an Brigitte Zeibig aufgesetzten Brief zu lesen, in dem er sie bittet, jemanden zu finden, der »für zwei Tage in eine wirkliche Kleinstadt an Küste fährt, und zwar in eine beliebige unter den Kröpelin, Neubuckow, Klütz (wenngleich mir Klütz die ergiebigste scheint). Die Auswechselbarkeit der Orte macht deutlich, daß es mir ankommt auf Material für einen Roman.« Dieses Material floß dann in die Jahrestage ein, die Johnson als ein Roman in vier Lieferungen, nicht in vier Bänden, verstanden wissen wollte.
Das Literaturhaus überrascht – noch ehe man einen einzigen Begleittext gelesen hat – durch seine innenarchitektonische Anlage. Der Charakter des Gebäudes als Speicher blieb auch im Innern gewahrt. Die Balken knarren, wenn man sie betritt, und an den Fensterläden spielt der mecklenburgische Wind. Unauffällig eingefügt, verbindet ein Aufzug die drei Stockwerke. Die Dauerausstellung zu Uwe Johnson überzeugt durch Ausgewogenheit von Text und Bild. Der erste Ausstellungsraum dokumentiert das Leben, der zweite das Schreiben Uwe Johnsons. Man kann in den Räumen über den Dichter nicht nur lesen, sondern ihn auch audio-visuell erleben: Hier in einem NDR-Film nach Veröffentlichung des ersten Bandes der Jahrestage 1970, dort bei einem Radio-Gespräch zum Abschluß des großen Erzählprojektes 1983.
Auf beiden Etagen laden schwere schwarze Ledersessel zum Verweilen ein. Denn an ihnen sind Exemplare von Johnsons Büchern, von Ingrid Babendererde bis Begleitumstände, diebstahlsicher angebracht. Überhaupt kann man viele Knöpfe betätigen, Seiten umblättern und Tafeln aufklappen. Die Ausstellung weckt eine Spielfreude und Entdeckerlust, die den Besuch zum echten Erlebnis macht. Dreidimensionale Gegenstände aus dem Nachlaß des Autors sind nicht zu sehen. Das ist aber zu verschmerzen. Selbst die Schreibmaschine des Typs Rheinmetall ist nur eine artgleiche, wie sie Johnson beim Abfassen seines Debüts Mutmaßungen über Jakob benutzte. Eine schöne Marginalie ist, daß Johnson seinerzeit sein Segelboot verkaufen mußte, um sich dieses Schreibgerät leisten zu können.
In den in der Ausstellung zitierten Berichten der Kollegen und Weggefährten (echte Freunde hatte Johnson, mit Ausnahme seines Verlegers Siegfried Unseld und Ingeborg Bachmanns, nach den Studientagen in Leipzig kaum) wird immer darauf verwiesen, daß der gebürtige Pommer stets auf Distanz und allzeit kühl blieb. »Ein Bruder der Massen war er nicht«, so etwa betitelte Wolfgang Koeppen seinen für den Stern geschriebenen Johnson-Nekrolog. Auch der 2006 edierte Briefwechsel mit Walter Kempowski durchweht der kalte Hauch eines Menschen, der nicht wirklich zu seinem Gegenüber fand, obwohl er mit ihm korrespondierte.
Wenn sich aber Uwe Johnson öffnete, dann konnte er eine fast kindliche Heiterkeit und Freude verströmen. Günter Grass hat nach dem Tod des Dichters das Wesen und die Tragik der Person Uwe Johnsons mit wenigen, in Klütz auch zitierten Worten zu fassen vermocht: »Doch er (Uwe Johnson, K.A.), der akkurate, disziplinierte und geradezu penible Arbeiter am Manuskript führte ein Leben, das nicht frei war von selbstzerstörenden Zwängen. Es mag auch sein, daß ihm die Unbedingtheit seines Heimwehs nach Mecklenburg verzehrt hat.« Wie die Jahrestage bezeugen, ist Uwe Johnson jedoch ein Dichter gewesen, der »sein Heimweh nach Mecklenburg« erst mit nach West-Berlin und dann nach Manhattan (New York) nahm und in Gestalt der Hauptperson Gesine Cresspahl literarisch produktiv umzusetzen wußte.
Die eigene Biographie auf engem Raum darzustellen, wollte ihm nicht so richtig gelingen. In einem Brief an Siegfried Unseld vom 2. Oktober 1959 schreibt der Autor bezugnehmend auf seinen Roman Mutmaßungen über Jakob in einem PS: »Ich bin geboren am 20. Juli 1934 in Cammin/Pommern. Aber Lebensläufe kann ich nicht. Jedenfalls nicht meinen eigenen.« – Dafür gibt es das Uwe-Johnson-Literaturhaus in Klütz, in dem für jeweils 1 Euro auch frisch zubereiteter Kaffee und hausgemachter Kuchen auf den Besucher warten.
Literaturhaus Uwe Johnson, Im Thurow 14, 23948 Klütz, (038825) 22387. www.literaturhaus-uwe-johnson.de. Literaturempfehlung: Wolfgang Geisthövel: Reisen in Uwe Johnsons Mecklenburg, Hinstorff-Verlag Rostock
Schlagwörter: Kai Agthe, Klütz, Uwe Johnson