Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 24. Dezember 2007, Heft 26

Mittiges Tummeln

von Hajo Jasper

In Monty Pythons grandiosem Leben des Brian erfragt ein federschmuckbehelmter Centurion unter einem Dutzend soeben Gekreuzigter, wer von ihnen wohl jener »Brian« sei, für den im letzten Moment doch noch eine Begnadigung ergangen wäre. Allesamt erklären sie daraufhin, höchstselbst der Gesuchte zu sein. Auch der Ehemann eines am Holz festgebundenen Paares nimmt den Namen für sich in Anspruch und fügt für seine nebenan fixierte Gattin hinzu: »Meine Frau ist auch Brian!«
An diese blasphemisch-schöne Zelluloidepisode fühlt sich erinnert, wer heute vom verbalen Pingpong unserer hochverehrten Volksparteien in den Farben schwarz und rot hört. »Hier in der Mitte sind wir – und nur wir«, hat die Bundeskanzlerin beim jüngsten CDU-Parteitag in Hannover dekretiert. Die Delegierten fanden das auch und feierten diese fundamentale Standortbestimmung mit einer realsozialistischen Beifallsorgie. Noch in den Jubel hinein scholl es aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk-Off aber schon retour: »Wir sagen auch, wir sind die Partei der Mitte«, konterte SPD-Koalitionärin Ulla Schmidt unbeirrbar.
Apropos Mitte. Das Lexikon weist dafür verschiedene Existenzformen aus, also etwa auch eine geographische, physikalische, astronomische oder mathematische. Am nächsten dürfte dem, was Rot und Schwarz beim Fingerhakeln um die größte Mittigkeit mit Aplomb betreiben, das mathematische Verständnis des Zentrums kommen. In der dort angesiedelten Gruppentheorie spielt das Kommutativgesetz (Vertauschungsgesetz) eine wichtige Rolle; eine mathematische Regel, »bei der die Argumente einer Operation ver- oder ausgetauscht werden, ohne daß sich am Ergebnis etwas ändert«.
Das klingt kompliziert, überzeugt aber sofort, wenn man es veranschaulicht. Als älteste überlieferte Form dieses Gesetzes der Addition steht dafür die Fabel vom klugen Wolf und den neun dummen Wölfen zur Verfügung. Als mathematischer Lehrtext der Sumerer aus der Zeit Mitte des dritten Jahrtausends vor Christus, so erfährt man bei wikipedia.de, behandelt er nicht nur »die Addition von 9 + 1 = 10 ist dasselbe wie 1 + 9 = 10«, also das besagte Kommutativgesetz der Addition, sondern er ist auch eines der frühesten Schriftzeugnisse für menschlichen Humor, aber auch menschliche Verschlagenheit.
Zehn Wölfe brechen dieser Fabel zufolge in einen Schafstall ein und stehlen zehn Schafe. Der kluge Wolf schlägt vor, gerecht zu teilen; nämlich so, daß das Ergebnis immer zehn lautet und schon dadurch Gleichheit bei der Verteilung der Pfründe bewiesen sei. »Ihr neun bekommt ein Schaf, dann seid ihr zusammen zehn. Ich und neun Schafe – macht ebenfalls zehn. Stimmt das etwa nicht?« »Stimmt genau«, finden die neun einfältigen Wölfe und machen sich befriedigt über das Schaf her, das ihnen der gerissene Wolf huldvoll überläßt …
Die hübsche Fabel der Sumerer erinnert denn doch gar sehr an das, womit sich die beiden Parteien der Mitte nicht nur rhetorisch und gesetzgeberisch befassen, sondern für das sie auch kräftig das Ihre geleistet haben. Denn wenn auch die individuelle Verfügbarkeit von Schafen heutzutage nicht als vergleichbarer Wohlstandsausweis gilt, Geld- und Kapitalvermögen schon.
Und da geht es, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Berlin gerade erst festgestellt hat, doch der wölfischen Auslegung des Kommutativgesetzes nicht unähnlich zu: Zehn Prozent der Deutschen besitzen fast zwei Drittel des gesamten Volksvermögens, die ärmste Hälfte hingegen fast gar nichts. Die Zahl der Vermögensmillionäre ist von 330000 im Jahr 2005 auf 350000 im Vorjahr angestiegen; nur achtzig davon sind übrigens Lottomillionäre. DGB-Vorstandsmitglied Claus Matecki dazu: »Während eine Minderheit vom goldenen Teller essen kann, leben große Teile der Bevölkerung von der Hand in den Mund.«
Zugegeben, Gleichheit bei Einkommen und Vermögen sind weder realistisch noch so ohne weiteres erstrebenswert – zumindest nicht als Gleichheit ohne Freiheit, wie sie vor 1989 versucht wurde. In einer mathematischen Mitte scheinen Rot und Schwarz aber wohl doch nicht zu stehen, nicht mal in deren Nähe. Ihr Abstand zu den verschiedenen Einkommensschichten ist allzu ungleich, um diesen Tatbestand zu erfüllen. Wer unter solchen Umständen Brian ist, spielt dann auch wirklich keine Rolle.
Halten wir es also am besten mit einem ausgewiesenen Freund und Partner unserer Regenten, dem Chef des ifo Institutes für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn, dem wir die ganz sicher auch individuell angeeignete Weisheit verdanken: »Mit etwas mehr Ungerechtigkeit lebt es sich besser.«