Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 10. Dezember 2007, Heft 25

Gruseln unterm Glockenturm

von Peter Braune

Auf dem Berliner Olympiagelände darf die Zeit nicht vergehen. Dafür sorgt der Denkmalschutz, ein Haufen hochbezahlter unpolitischer Historiker, die noch den letzten Unrat unendlich lange weiter stinken lassen wollen. Ungebrochen heißt der Platz zwischen dem Stadion und dem Glockenturm Maifeld, auf das vom Deutschen Sportbund jährlich mehrmals junge Sportler zur Austragung von Fußball-, Handball- und Volleyballturnieren geladen werden. Mit Aufmärschen von Parteiformationen der NSDAP und NS-Organisationen auf Maifeldern wurde ab 1933 der 1. Mai als Tag der Arbeit ersetzt und ihm durch dieses martialische Geschehen endgültig die Würde genommen.
Über das Maifeld ragt der Glockenturm achtzig Meter hinaus, in dessen Plattform ist jetzt eine Kopie der Olympiaglocke von 1936 installiert. Unter dem Gebimmel des Originals luden die damaligen Machthaber die Jugend der Welt zu den Olympischen Spielen.
Wie, um die fröhliche Weltjugend zu verhöhnen, ließ Carl Diem, der verantwortliche Sportfunktionär für diese Spiele, unter dem Glockenturm und den Tribünen eine Trauerhalle errichten, in der den jungen deutschen Soldaten gedacht werden sollte, die am 10. November 1914 in Belgien um die kleinen Orte Dixmuide und Bixschoote herum gegen kampferfahrene britische Kompanien ihr Leben ließen. Die unausgebildeten Regimenter sollen sich angeblich – das Deutschlandlied brüllend – in den Tod gestürzt haben. In seriöseren Interpretationen wird freilich von einem irrtümlichen Beschuß durch die eigenen Artilleristen ausgegangen, denen die Unglücklichen mit dem Deutschlandlied den tödliche Irrtum und die Bitte um Verlegung des Feuers bedeuten wollten.
Dies zuzugeben, war für den Generalstab unmöglich, statt dessen wurde das Gemetzel in einen Sieg der Opferwilligkeit deutschen Soldatentums umgemünzt. Weil die Namen der beiden Ortschaften jedoch schwer auszusprechen waren, verlegte man das Geschehen einfach nach Langemark einige Kilometer weiter und »ver bismarckte« der Ort in Langemarck. Vom Kriegsjahr 1915 an wurden überall im Deutschen Reich am 10. November von der Heeresführung Gedenkfeiern ausgerichtet. Der Tag von Langemarck war geboren. Bis 1944 wurde durch die gesamte Zeit der Weimarer Republik hindurch dieser Tag von der Reichswehr, von den Wehrverbänden und an den Universitäten, später von der Hitlerjugend und der SA unter rasendem Trommelwirbel zu Aufmärschen und patriotischen Dumpfsprüchen genutzt. Carl Diem soll in seiner Hosentasche einige blutgetränkte Krumen Erde aus Langemarck mitgebracht haben, um sie in einem Schrein in der Halle zu versenken, die von nun ab Langemarckhalle hieß. Am 1. August 1936 wurde Adolf Hitler vor dem Glockenturm von seiner Leibstandarte begrüßt, stieg die Stufen zur Langemarckhalle hoch und glotzte dort auf den Blutschrein mit der Erde darin. Anschließend erst stelzte er durch das Marathontor als Triumphator in das Stadion hinein und eröffnete die Spiele.
In den letzten Tagen des Krieges brachten entflammte Propagandafilmrollen, die in der Langemarckhalle und unter den Tribünen eingelagert worden waren, Teile des Glockenturms zum Einsturz. Fürs erste war die Halle zur weiteren Nutzung unbrauchbar. Die Engländer, die ab 1945 das Stadion und das dazugehörige Sportforum als Hauptquartier nutzten, ließen am 15. Februar 1947 den Turm sprengen – er vergrub unter seinen Trümmern auch die Halle.
Die Geisteshaltung, die in den Jahren 1961 und 1962 die Regierung der Bundesrepublik Deutschland veranlaßte, den Glockenturm und die Langemarckhalle mit einigen Millionen DM wiederzuerrichten, ist durch die Ehrung von Carl Diem mit der Übertragung der Leitung der Deutschen Sporthochschule in Köln bis zu dessen Tode 1962 und durch die Beteiligung von NS-Funktionären wie Globke und Oberländer an der Regierung hinreichend dokumentiert.
Mit dem Wiederaufbau wurde natürlich der Architekt des Stadions und aller Nebenbauten von 1936, Werner March, betraut. Dieser Architekt war für die Bonner Regierung und deren Denkmalschützer Garant dafür, daß alle Steine und Steinchen wieder an ihren alten Platz rückten, Säulen, Gebälk und Kandelaber originalgetreu eingebaut wurden. Nur der Blut- und Bodenschrein wurde beim Wiederaufbau – offensichtlich durch Einspruch der britischen Besatzungsbehörden – verwehrt.
Nicht ganz so fröhlich gestimmt wie die Auftraggeber aus Bonn und Köln übernahm der Berliner Senat das Kleinod, das nun wieder den Namen Langemarckhalle trug und heute noch so heißt. Solange dort auf dem Feld vor dem Glockenturm vorwiegend englische Besatzungsoffiziere Cricket spielten oder den Geburtstag der Queen feierten, gab es kaum Anlaß, die Langemarckhalle zu erwähnen. Als Stiefkind unter den Orten, die auf Stadtrundfahrten angefahren wurden, dösten Turm und Halle, Erhaltungskosten erheischend, vor sich hin. Doch die Fußballweltmeisterschaft im vorigen Jahr beendete den Schlaf. Neue Millionen wurden in das Mauerwerk investiert. In den Nebenräumen wurde vom Deutschen Historischen Museum eine Medienschau installiert, die nun den vielen Millionen Besuchern das Gelände von 1936 und dessen jeweilige Nutzung zeigt.
Trotz großer Anstrengungen der Ausstellungsmacher zur kritischen Durchleuchtung der Zusammenhänge von Politik und Sport bleibt dem interessierten Besucher ein Frösteln und Gruseln nicht erspart. Auf der Tafel am Eingang zur Halle steht:
Die offene Halle war den Gefallenen der Schlacht bei Langemarck vom November 1914 gewidmet. Auf diese Weise verbanden sich erstmals militärisches Gedenken und heroischer Opferkult mit einer Sportanlage. 1961-62 wiederhergestellt, gibt die »Weihestätte« für die gefallenen deutschen Soldaten noch heute Zeugnis davon.
Irgendwie kann man verstehen, daß der sozialdemokratische Innensenator Erhard Körting, zuständig für das Olympiagelände, keine große Lust hat, die Vermarktung des Turms, der Halle und der Ausstellung zu verantworten. Die 3,50 Euro Eintritt werden von dem Pächter und Betreiber Dr. Manfred Uhlitz eingetrieben. Nach seinen Angaben kann er davon recht gut leben.