von Liesel Markowski
Einen langen Atem muß er schon haben und die Ruhe bewahren: der von seinen zwei Frauen gepeinigte antike Philosoph. Ausdauer haben muß auch das heutige Publikum vier Stunden lang bei Telemanns Oper Der geduldige Sokrates, die sich – uns ungewohnt – genüßlich ausbreitet. Die Bühnenwerke des frühbürgerlichen Magdeburger Komponisten sind noch immer Entdeckungen, nur weniges wurde ediert.
Georg Philipp Telemann (1681-1767), lange als Vielschreiber abgetan, ist neben Bach und Händel kaum populär geworden. Aufführungen seiner bisher selten gespielten Werke gelten als Pioniertat. Sie sind, nicht nur diesmal, vor allem René Jacobs zu verdanken, dem Dirigenten und Kenner historischer Aufführungspraxis, der eine Fassung für die Produktion in der Berliner Staatsoper (als Kooperation mit den Innsbrucker Festwochen für Alte Musik) hergestellt hat.
Telemann, zu Lebzeiten berühmt und viel gefragt, hat seinen Sokrates 1721 für die Hamburger Gänsemarktoper und deren breites bürgerliches Publikum geschrieben, sozusagen als Einstieg seiner dortigen Tätigkeit als director musices.
Eine bunte Mischung in deutscher und italienischer Sprache, musikalische Vielfalt aus Tragischem und Komischem, besinnlichen oder virtuosen Arien und turbulenten Rezitativen, aus Zartem und Derbem der Commedia dell’ Arte. Die Frische emanzipatorischen Selbstbewußtseins und die kompositorische Kunstfertigkeit Telemanns faszinierten in René Jacobs intensiver Wiedergabe.
Telemann, der sich »nicht zu der Classe der feinen« rechnete, hat sein Werk als »Musikalisches Lustspiel« bezeichnet. Es ist die Geschichte von Sokrates und seinen zwei streitsüchtigen Frauen Xantippe und Amitta, von seiner laut athenischem Gesetz wegen kriegsbedingtem Bevölkerungsschwunds verordneten Doppelehe, dem auch die Prinzessinnen Rodisette und Edronica wie die Prinzen Melito und Antippo widerstrebend unterworfen sind. Es ist ebenso die Geschichte des um Harmonie besorgten Philosophen im Kreise seiner Schüler. Und es ist eine Komödie mit Witz und eben langem Atem.
Die Aufführung bestach im Musikalischen, das von René Jacobs in schillernden instrumentalen Farben mit der Berliner Akademie für Alte Musik und soliden, wenn nicht überragenden Sängern präsentiert wurde. Leider hat Nigel Lowery in seiner Inszenierung den Geist, die Feinheit telemannscher Charakterisierung nicht erfaßt. Auf knallige Gags und geräuschvolle Aktionen bedacht, verfehlte er die komödiantische Souveränität des Komponisten.
Alberne, ja lächerliche Gebärden der Figuren, Kostüme anscheinend wahllos von einst bis heute (von Sokrates, konstant mit angeklebter Gummiglatze und antiker Stola, bis zur sexi Callgirl-Begleitung seines Dichter-Widersachers Aristophanes), ferner zielloses Hin- und Herrennen nebst Krach, der die Musik gleichsam zertrampelte, dazu ein »cooles« Bühnenbild mit zwei (!) merkwürdigen modernen Küchen, Bibliothek, kitschigen Gipstieren im Garten. Lowery setzt auf äußerliche Effekte bis zur Groteske, er persifliert, statt entsprechend der Musik zu differenzieren.
Es gab allerdings auch theatralisch-musikalische Glückspunkte wie die Trauerchöre und Tänze des Adonisfestes oder ein schönes lieto fine mit bewegender Ausstrahlung.
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