Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 26. November 2007, Heft 24

Das Gegengewicht

von Jörn Schütrumpf

Wenn die Deutschen ein Verbrechen begehen, bauen sie hinterher ein Denkmal. Dabei folgen sie der Faustregel: Je unvorstellbarer das von ihnen in die Welt gesetzte Grauen, desto größer das Denkmal; aber nur wenn die Deutschen zuvor einen Krieg verloren haben. Wenn sie einen Krieg gewonnen haben, bauen sich die Deutschen auch ein Denkmal. Und erst recht natürlich, wenn sie einmal etwas halbwegs Friedfertiges vollbracht haben – denn so seltenes Verhalten ist allemal des Andenkens wert. Der Deutsche kann tun und lassen, was er will – am Ende steht stets ein Denkmal.
In Berlin soll es, so ein von seinem Nachfolger geehrter Berliner Regierender Bankrotteur, nach den »Denkmälern der Schande« nun endlich wieder ein Denkmal des Stolzes und der Freude geben – das meinten in dankenswerter Offenheit am 5. November in Berlins Nikolaikirche auch Bundestagspräsident Lammers, Noch-Bundesverkehrsminister Tiefensee, Markus Meckel und Rainer Eppelmann. Denkmäler der Schande sind für sie zum Beispiel das Holocaust-Denkmal. Ich hatte den Völkermord zwar bisher immer für ein Verbrechen gehalten, habe aber nun gelernt, daß er eine Schande war – so wie in sich gutbürgerlich peinigenden Familien eine uneheliche Schwangerschaft behandelt wird.
Mit dem Beschluß des Bundestags für ein Freiheits- und Einheitsdenkmal ist das geschichtspolitische Rollback weitgehend abgeschlossen. Hans Scharoun, nach 1945 Baustadtrat von Berlin, hatte zusammen mit Walter Ulbricht die Ruinen des Forums Fridericianum und der Linden abreißen und nach den Grundsätzen der Charta von Athen (1933) – weder dunkle Hinterhöfe noch protzige Herrschaftsarchitektur, sondern Licht, Luft, Sonne für alle – bebauen lassen wollen. Stalin mochte aber ebenso wie Hitler diese Charta nicht, Scharoun ging in den Westen der Stadt, und Ulbricht mußte den Abriß allein vornehmen. Mehr als die Reste des Schlosses schaffte er aber nicht, denn dann befahl ihm Stalins Besatzungsmacht den Wiederaufbau des Forums Fridericianum und der Linden. Erich Honecker stellte den Dom und Fritz 2 dazu (wenn auch nicht an die »richtige Stelle«), und Helmut Kohl ließ Käthe Kollwitz’ Pietà aufblasen, die nun in der Neuen Wache die deutschen Opfer betrauert – vom SS-Mann, der an der Gaskammer »Dienst tat«, aber später fiel, bis zu seinen Opfern in den Werkhallen der Massenmordindustrie.
Dieser Linie Stalin–Honecker–Kohl folgt nun die deutsche Politik. Wobei der Stiftung Aufarbeitung ein besonder ironischer Coup gelungen ist, den ich der Führung dieses Hauses gar nicht zugetraut habe. Die Stiftung hatte, um Druck auf den Bundestag zu machen – denn im Hohen Hause war 2001 ein erster Vorstoß für ein Einheitsdenkmal abgeschmettert worden –, einen Wettbewerb für ein Freiheits- und Einheitsdenkmal ausgelobt. Es gab drei dritte und einen ersten Preis; der dritte Dritte ging an ein Freiheitsdenkmal, die anderen drei Preise an Vorschläge für ein Einheitsdenkmal – wobei es der erste Preis in sich hat: zwei Halbringe aus Stahl, zweieinhalb und drei Meter hoch, zehn Meter voneinander entfernt, dazu im Boden eingelassen Metallplatten, auf denen historische Daten verzeichnet sind. Tritt man auf die Platte mit dem 3. Oktober 1990, wirken die beiden Ringe auf den Betrachter wie ein Ring: die deutsche Einheit als optische Täuschung. Das gefällt auch mir.
Natürlich war der Wettbewerb nur inoffiziell, und so wird es wohl ein anderes Denkmal werden. Doch das wirklich Wichtige an diesem ersten Preis war auch nicht der Entwurf, sondern der Platz, für den er gedacht war: für den Sockel des Nationaldenkmals vorm Schloß, ein Reiterstandbild von Wilhelm 1 – direkt gegenüber Fritz 2.
Die deutsche Politik will endlich ein Gegengewicht zu den Denkmälern der Schande, und dieses – das neue Nationaldenkmal (am Abend des Beschlusses sprachen Politiker schon nicht mehr von Freiheits- und Einheitsdenkmal, sondern Klartext: sie redeten vom Einheitsdenkmal) – kann nur am Forum Fridericianum vor der Schloßfassade samt krönender Kuppel stehen. Als neue Pilgerstätte für Staatsgäste und die Schulklassen aus Wanne-Eickel, Jüterbog und Hintertupfingen. (Unsere Väter wurden von ihren Lehrern einst zur Neuen Reichskanzlei geführt; aber von deren Wiederaufbau war noch nichts zu hören. Auf die Argumentationen bin ich jetzt schon gespannt.)
Über allem schwebt die unmißverständliche, wenn auch nicht beweisbare Botschaft: Den Holocaust verrechnen wir mit der deutschen Einheit.