Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 29. Oktober 2007, Heft 22

Von der DDR lernen …

von Thomas Heubner

Arm in Arm, glückselig und leicht beschwipst, tippelten Mandy und ihre Freundin Gabi über den Boxhagener Platz. Hinter ihnen trotteten folgsam die Göttergatten Dieter und Fred. Die vier kamen vom Brandenburger Tor, vom Bürgerfest zum Tag der Deutschen Einheit.
»Ach ja«, seufzte Gabi, »es war doch nett. Und wie schön Carmen Nebel moderieren kann!« Mandy stimmte zu, meinte aber, daß beim Estradenprogramm nur dieser Räpper Burschiko etwas peinlich war. Daß dieser ständig was vom Arschficken ins Mikro brüllte, hätte nicht zur Würde des Nationalfeiertages gepaßt.
»Genau«, bestätigte ihr Mann, »das wäre damals, zum Republikgeburtstag, nicht passiert.« »Klar«, klopfte ihm Kumpel Fred auf die Schulter, »unsere Volksfeste früher waren viel schöner als heute dieses Flateratesaufen beim Public Viewing. Überhaupt waren wir im Osten viel weiter, beispielsweise in der Kälbermast …«
»Nur nannte sich das damals Sportlerförderung«, lächelte Dieter maliziös und lobte gleichzeitig die Deutschen, die endlich flächendeckendes und staatlich gefördertes Doping anwenden. Schließlich würde nicht nur die Betriebsmannschaft einer Telefonfirma Testosteron-Epitestosteron und Methylprednisolon schlucken. Um bei Olympia und auch sonst auf dem Siegertreppchen zu stehen, laute die Devise »Von der DDR lernen, heißt siegen lernen!«
»Ich hatte ja nichts gegen die Wiedervereinigung, fragte mich nur, warum ausgerechnet mit Westdeutschland«, mischte sich nun Mandy wieder ins Gespräch ein. »Heute finde ich den großen Feldversuch, dem wir Ossis seit über anderthalb Jahrzehnten ausgesetzt sind, gar nicht so übel, weil viel Gutes aus der DDR übernommen wird«, sagte sie und erwähnte die Firmen und Supermärkte, wo auf einem »Walk of Service«, also einer Straße der Besten, vorbildliche Werktätige der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Rührend fand Mandy auch die Politikerappelle zur Einheit und Geschlossenheit in den großen Volksparteien, erinnerte sie sich doch an gleichlautende Beschwörungsformeln von Ulbricht und Honecker. »Gegen Münteferings Fraktionszwang wirkt die SED mit ihrer leninschen Parteidisziplin im nachhinein wie ein wilder Spontihaufen«, resümierte sie keck.
Mit weiblicher Logik in höchster Vollendung wies Gabi sogleich auf bewährte Traditionen der FDJ, deren Nationale Jugendfestivals beispielsweise in Form von Loveparaden und Kirchentagen weiterlebten und wie ehedem beliebte ABBA-Treffen wären – die Abkürzung für Anreisen, Begrüßen, Bumsen, Abreisen. Außerdem würden die karrieregeilen Jugendfreunde von Jusos und Junge Union prächtig in jeden FDJ-Zentralrat passen.
Nun fühlte sich Fred angesprochen und lobte den Innenminister, dessen Umgang mit IMs beziehungsweise V-Leuten und seine Erlasse zu Überwachungskameras, Postkontrolle, Aktenvernichtung, Beugehaft und Aufenthaltsverboten. Selbst Geruchsproben von Systemgegnern sähe der als stinknormalen Schnupperkurs in Demokratie, ebenso das Schnüffeln an Bettlaken und Computerfestplatten. Einzig das mickriges Zäunchen um Heiligendamm haben ihn, Fred, ein bißchen enttäuscht. »Kein Vergleich zu den Grenzschutzanlagen der DDR, vom Klassengegner seinerzeit als ›Mauer‹ verhohnepiepelt!«
Vor ihrem Haus angekommen, um oben in der Wohnung kollektiv noch einen Absacker zu genießen, ließ Dieter seinen kritischen Blick über die Fassade schweifen. Nur an einem einzigen Fenster wedelte schlaff ein schwarz-rot-goldenes Fähnchen. »Damals, am 7. Oktober, haben unsere Menschen eifriger beflaggt«, meckerte Mandys Mann mit leichter Panik in der Stimme. »Ich will ja die Säumigen bei den Organen nicht verpetzen, aber melden muß ich’s doch!«