von Wolfram Adolphi
Gemütlich geht’s zu auf dem Loppemarked, dem dänischen Flohmarkt, so lächelnd und unaufdringlich, daß es eine Freude ist. Ein paar alte Gabeln mit schönen weißen Kunststoffgriffen sind uns in diesem Jahr für fast nichts in die Hände gefallen, dazu eine anrührende Marylin-Monroe-CD von 1993 für zehn Kronen – das sind ein Euro und dreißig –, weiter eine Fußbank vom Bauernhof, auf daß die Enkelin, wenn sie auf Besuch ist, ans Waschbecken reiche, schließlich zwei feine Wassergläser und am Ende auch dies: eine Broschüre mit dem Titel Unterwegs ins Wirtschaftswunder. Ein Volkswagen-Käfer im klassischen Design fängt unseren Blick, schwarz-weiß fotografiert und glänzend vom Lack bis zu den Continental-Reifen, darüber das zufriedene, runde Gesicht eines End-Fünfzigers, korrekt der Scheitel im schütteren Haar und korrekt auch Schlips, Hemd und Anzugjacke – der biedere Bundesbürger wie aus dem Bilderbuch.
Was will er hier, dieser glückliche Mann mit dem strahlenden Auto, auf dem Loppemarked? Näheres Hinschauen verrät: Das Buch ist eines für den Deutschunterricht, Abteilung Fortgeschrittene. Verfaßt wurde es von einer Autorin namens Gunhild Paaske, die, wie sie im Vorwort erklärt, das »brændende interesse for det tyske« – deutsche – »Wirtschaftswunder« befriedigen und einen Beitrag zum Verständnis der »Forbundsrepublikkens historie« leisten will. Zum Druck gekommen ist das Werk im Verlag FAJAMO in Holstebro im Jahre 1987, und nun, offensichtlich, hat einer genug davon gehabt und es dem Loppemarked überantwortet.
Aber gehört es da wirklich hin? In den Trödel?
»Deutschland wurde«, lesen wir, »in 2 separate Staaten gespalten, die Bundesrepublik Deutschland (BRD), die im September 1949 gegründet wurde, und die Deutsche Demokratische Republik (DDR), die im Oktober desselben Jahres gegründet wurde. Diese Spaltung war das Ergebnis des Kalten Krieges zwischen Ost und West, der nach dem Ende des 2. Weltkrieges begann. (…) Ein französischer Wissenschaftler, Alfred Grosser, hat die Entwicklung folgendermaßen beschrieben: ›Die Bundesrepublik wurde als eine Zwillingsschwester des Atlantikpaktes geboren. Vater war der Kalte Krieg.‹«
Und weiter: »In diesem verschärften internationalen Klima gab es kaum Raum für (…) ›einen dritten Weg‹ in Form eines vereinigten, neutralen, entwaffneten Deutschlands. Diese Gedanken wurden in den Jahren unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg verfochten. Der damalige Vorsitzende der CDU in der Sowjetzone, Jakob Kaiser, war z. B. Befürworter eines solchen dritten Weges. (…) Später, als er Minister für gesamtdeutsche Fragen in der westdeutschen Regierung wurde, gab er diese Auffassung auf. Ein wiedervereinigtes Deutschland war eine realistische Möglichkeit nur auf der Grundlage irgendeiner Neutralität, aber Konrad Adenauer war kein Anhänger der Neutralität. Nach dem Anti-Kommunismus war wohl der Anti-Neutralismus der zweitwichtigste Grundsatz der Adenauerschen Politik. (…) Die Tatsache war die, daß ›Westintegration‹ und ›Wiederbewaffnung‹ eine Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten ausschlossen.«
Und noch: »Die Währungsreform (vom 20. Juni 1948 – W. A.) hatte weitreichende Konsequenzen. (…) Sie trug dazu bei, die CDU an die Macht zu bringen, da sie mit dem Wirtschaftskonzept dieser Partei – der sozialen Marktwirtschaft – verknüpft wurde. (…) Außenpolitisch trug sie dazu bei, Deutschland zu spalten. Die Währungsreform war eine separate Reform, die ohne die sowjetische Besatzungszone erfolgte.«
Und schließlich: »Die notwendige Finanzierung wurde durch die Dollarkredite der USA (Marshall-Plan-Hilfe) erleichtert. (…) Die ›unfreiwillige Marshall-Plan-Hilfe‹ – wie der Flüchtlingsstrom aus der DDR genannt worden ist – trug dazu bei, die schiefe Bevölkerungsstruktur der BRD zu beheben (und sie in der DDR zu verschlechtern). Die meisten Flüchtlinge aus der DDR waren junge, gutausgebildete Personen. Man hat gesagt, daß die DDR-Flüchtlinge ›zum größten Aktivposten der bundesrepublikanischen Wirtschaft‹ wurden und daß der Wert dieser ›unfreiwilligen Marshall-Plan-Hilfe‹ größer war als die richtige Marshall-Plan-Hilfe.«
Deutschunterricht in Dänemark vor zwanzig Jahren. Kann man die deutschen Politiker da nicht mal reinschauen lassen? Auf daß sie sich Anregungen für die Festreden und Preisgesänge zum 3. Oktober holen?
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