von Liesel Markowski
Die Vermarktung von Oper breitet sich aus. Spitzensänger werden – Popkünstlern vergleichbar – international gehandelt und von der Bühne in den Medien oder umgekehrt wie »Events« präsentiert. Als »Traumpaar der Oper« fungieren gegenwärtig die russische Sopranistin Anna Netrebko und der mexikanische Tenor Rolando Villazón. Beide, erste Wahl, mit hinreißend schönen Stimmen begabt, waren im Großereignis der Berliner Staatsoper zu erleben: Jules Massenets Manon (nach Abbé Prevosts Roman von 1731) in Serie. Total ausverkauft, im Fernsehen und per Großbildschirm auf den Bebel-Platz nebenan übertragen. Ein Mega-Erfolg, wie es schien.
Doch wenn die Kassenerwartungen sich auch erfüllt haben mögen, es gab mancherlei Anlaß zur Kritik, inklusive des unglücklichen Sterns fürs Ganze: Denn Villazón mußte bereits zu Beginn des Zyklus aus Krankheitsgründen absagen. Daher erlebten die meisten Besucher wie ich nur das halbe Traumpaar. Der vertretende Tenor Fernando Portari schlug sich wacker, doch ohne entsprechenden Charme seines verhinderten Kollegen. Anna Netrebko – prima donna per se – gab ihrem leuchtenden Soprangesang wundervolle Frische und der Manon bildschönen Anblick.
Sie ist durchweg dominant: als kleines Mädchen vom Lande, von den Eltern ihres Leichtsinns wegen ins Kloster befohlen, das sich auf der Reise in den armen Des Grieux verliebt und mit ihm nach Paris entflieht, die ihn verrät, um im Luxus zu leben. Als gefeierte Halbweltkönigin, die schließlich ihren Des Grieux gerade noch vor seiner Priesterweihe für sich zurückgewinnt, als Lady beim Glücksspiel, das beide auf die schiefe Bahn bringt wie im Gefängnisgrau als Todkranke, die sterbend erst wirkliche Liebe begreift.
Eine Geschichte, die an Verdis Traviata erinnert, ohne sich deren Tiefe zu nähern. Vieles bleibt äußerlich, wird in steifer Dramaturgie abgewickelt. Der Musik – durchkomponierter Text – mangelt es an Höhepunkten, wenigstens fast drei Akte lang, ehe wirkliche Tragik (im Kirchenbild, im Spielsalon, in der Todesszene) berührt. Dabei ist ihre Partie eine immense Kraftprobe für die ständig präsente Darstellerin der Manon. In Netrebkos Gesang waren denn auch trotz allen Schönklangs Unschärfen und Intonationstrübungen bemerkbar. Überanstrengung bei solch kommerziellem Marathon!
Regisseur Vincent Paterson, bei Medienspektakeln und Poptourneen bisher erprobt, bot mit dieser ersten Operninszenierung (Koproduktion mit der Los Angeles Opera) konventionelle Biederkeit (Bühnenbild: Johannes Leiacker), die Anna Netrebko glanzvolle Auftritte bescherte: schönes Make-up und prachtvolle Kleider im Petticoat-Stil der frühen sechziger Jahre, im Marylin-Blond plus Flittergold oder in feurigem Rot (Kostüme: Susan Hilferty), fast revueartig. Theatralisch aber schob sich die Story langweilig voran, auch musikalisch gab es (Staatskapelle unter Barenboim) neben Knalligem manch Mühseliges. Bewegende Ausstrahlung gab es erst, wenn die Tragik der Figuren hervortrat: beim leidenschaftlichen Duett in der Kirche, in der Sterbeszene am Schluß. Massenets Manon, eine Oper in Wagner-Länge ohne dramatische Tiefe. Eigentlich kein »Event«. In der Staatsoper Unter den Linden wurde sie seit 1903 nicht mehr aufgeführt.
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