von Henryk Goldberg
Manche haben einfach Glück. Dethard von Winterfeld zum Beispiel. Der Mann ist Kunsthistoriker und stand mit ziemlich großen Buchstaben in einer Zeitung. So große Buchstaben bekommt ein Kunsthistoriker nur, wenn er tot ist, und dann hat er keine rechte Freude dran, höchstens andere Kunsthistoriker, aber die dürfen es nicht laut sagen. Wie der Dichter schon klagte: Bald fehlt uns der Becher, bald fehlt uns der Wein. Aber Herr von Winterfeld hatte beides. Denn er bekam seine Todesanzeige mit den großen Buchstaben, und er bekam sie zu sehen mit großen Augen.
Das ist toll, und ich beneide den Mann ein wenig. Es muß einen Stalker geben, dem dieser makabre Scherz ziemlich viel Geld wert war. Ich meine, ich fände es toll, wenn jemand, nur um mich zu ärgern, eintausend Euro ausgäbe. Bei mir reicht es immer nur zu diesen meckernden Briefen in Deutschland, 0,55 Euro das Stück.
Der Kunsthistoriker durfte schon mal üben, wie es so ist, das Sterben. Wenn man schon der eigenen Beerdigung nicht beiwohnen kann, dann wenigstens den letzten Text sehen. Wie mag sie aussehen, diese Anzeige, die das eigene Abscheiden ausdrückt? Wird meine Schwester die Cleverneß besitzen, diese Anzeige mit ihrem Mitarbeiter-Rabatt zu finanzieren, und würde mir das eigentlich gefallen? Was mag an diesem Tag noch in der Zeitung stehen? Lauter Unerheblichkeiten n atürlich neben der einen, der wirklichen, der unerhörten Nachricht: Ich bin tot. Die Welt hört auf. Nicht irgendjemand, das ist normal, irgendjemand stirbt immer, das ist nicht schlimm, das gehört dazu. Aber wenn ein Ich stirbt, das ist schlimm. Vielleicht auch, weil es so selten ist, so ungeübt.
Meistens sterben die anderen, deshalb hat der Mensch auch kaum Erfahrung im Umgang mit dem eigenen Sterben. Wenn man öfter stürbe, dann wäre es vielleicht gar kein so großes Ding. Einschlafen ist so eine Todesübung. Das hoffnungslose Bemühen, den Punkt zu erleben, an dem das Bewußtsein verweht. Aber du bist einfach weg, und dann wachst du wieder auf. So wird es sein. Der Unterschied ist das Aufwachen. Dazwischen bist du tot, und so richtig schlimm ist es ja nicht, wenn du keinen Unsinn träumst. Oder eben die eigene Todesanzeige.
Und dann ein, zwei Tage stille halten und die Briefe mit dem schwarzen Rand lesen, die Anrufe mithören und die Reaktion genießen: Sie sind gar nicht tot? Das tut mir jetzt aber leid. Diesen ganzen heimlichen Spaß hat der Professor jetzt gehabt, und eine andere hat bezahlt dafür. Ach, ich möchte auch einen Stalker. Aber vermutlich kann man die jetzt nicht mehr von der Steuer absetzen.
Schlagwörter: Henryk Goldberg