von Hajo Jasper
Die erste: Das Ordnungsamt im thüringischen Heiligenstadt wollte den Auftritt einer Gruppe von sechzehn Klezmer-Musikern an einem SPD-Stand verhindern. Begründung: Rechtsextremisten könnten sich bei ihrem genehmigten Aufmarsch durch die traditionelle jüdische Musik provoziert fühlen! Die lokale SPD tat, was die SPD allzeit am besten kann: Sie erkämpfte einen Kompromiß und setzte durch, daß die Klezmer-Combo nun als Trio auftreten darf.
Die zweite Meldung: Fünf Mitglieder eines Theaterensembles wurden im sachsen-anhaltischen Halberstadt von einer Gruppe rechtsextremer Täter angegriffen. Die Bilanz: gebrochene Kiefer, herausgeschlagene Zähne, Augenverletzungen. »Nach dem bisherigen Ermittlungsstand gehen wir davon aus, daß die Angreifer einen der Theaterleute als Linken identifiziert und danach losgeprügelt haben«, erklärte ein Polizeisprecher den Stand der Erkenntnisse. Das ist, wie sich der eine oder andere erinnern wird, eben jenes Halberstadt, dessen Obrigkeit vor Jahresfrist ein Konzert Konstantin Weckers verbot, da sich die Neonazis der Stadt (sic!) provoziert fühlen könnten.
Nun ließe sich allerhand Analytisches über diese Meldungen und ihre Substanz explizieren. Anstatt dessen sollen hier drei Zeugen jener Zeit zitiert werden, in der Vorgänge wie die obigen zum Vorspiel von noch viel Entsetzlicherem gehörten. Victor Klemperer beschreibt in seinen Tagebüchern fast minutiös, wie der »normale Deutsche« samt seiner Bürokratie Stück für Stück vor den Nazis zurückwich, bevor er entweder deren Opfer wurde oder ganz offen zu ihnen überlief. »Seit etwa drei Wochen die Depression des reaktionären Regimes«, notierte der Dresdener Literaturwissenschaftler am 21. Februar 1933 in seinem Tagebuch. »Ich schreibe hier nicht Zeitgeschichte. Aber meine Verbitterung, stärker, als ich mir zugetraut hätte, sie nachempfinden zu können, will ich doch vermerken. Es ist eine Schmach, die jeden Tag schlimmer wird. Und alles ist still und duckt sich …«
Klemperer hat den Faschismus dank des Mutes seiner »arischen« Frau und mit viel Glück überlebt.
Weiterhin sei hier Sebastian Haffner zitiert, der in seiner Geschichte eines Deutschen plastisch schildert, wie zu Anfang der dreißiger Jahre selbst die Klugen mit einem Gemisch aus Angst, Ungläubigkeit und intellektuellem Hochmut dem Bösen den Weg zu ebnen halfen. »Es gibt wenig so Komisches wie die unbeteiligt-überlegene Ruhe, mit der wir, ich und meinesgleichen (Haffner war 1933 Jura-Referendar und nach eigener Aussage ein Durchschnittsprodukt der deutschen bürgerlichen Bildungsschicht), den Anfängen der Nazi-Revolution in Deutschland wie von einer Theaterloge aus zusahen – einem Vorgang, der immerhin exakt darauf abzielte, uns aus der Welt zu schaffen.« Haffner ist letzterem entkommen und hat aus dem Exil heraus die Nazis nach Kräften bekämpft.
Robert M. W. Kempner ist der dritte, der hier zu Wort kommen soll. In der Uniform der amerikanischen Streitkräfte war der emigrierte Deutsche einer der US-Ankläger bei den Nürnberger Prozessen. Vor der Flucht vor seiner 1933 bereits verfügten Verhaftung hatte Kempner 1930 als Justitiar der Polizei-Abteilung im Preußischen Innenministerium gemeinsam mit weiteren Beamten eine »Preußische Denkschrift« über Die NSDAP als staats- und republikfeindliche, hochverräterische Verbindung verfaßt. Die 97 Seiten starke Schrift untermauert die lebensbedrohliche Verfassungsfeindlichkeit der Nazis mit Belegen, die – wie Kempner betont – nach seinerzeitiger Gesetzeslage vollkommen ausgereicht hätten, die NSDAP zu verbieten, ihre Oberen zu verhaften und Hitler als lästigen Ausländer auszuweisen.
Die Brüning-Regierung, der diese Denkschrift als Handlungsaufforderung zugeleitet worden war, tat von alledem nichts. Der damalige Oberreichsanwalt Werner rührte sich überhaupt nicht. Brüning selbst verfügte, daß der schriftlichen Aufforderung durch den Preußischen Ministerpräsidenten Braun, auf die Denkschrift endlich zu reagieren und zu handeln, keine Antwort zuteil werde. Ein Teil der Beweismaterialien wurde auf seine Anordnung hin sogar vernichtet. »Der Reichskanzler vertrat die Auffassung«, so ist dem Protokoll einer Kabinettsdebatte zu entnehmen, »daß das Reichskabinett jetzt noch nicht zu der Frage Stellung nehmen könne. Auf jeden Fall müsse die Reichsregierung sich davor hüten, dieselben falschen Methoden gegen die Nationalsozialisten anzuwenden, welche in der Vorkriegszeit gegen die Sozialdemokraten angewendet worden seien.« – »Mit dieser Haltung im Dezember 1930«, so Kempner später, »wurde das Schicksal der Weimarer Republik besiegelt!«
Die »Preußische Denkschrift« kann man übrigens nachlesen. Möglich gemacht hat das ihre – durch Kempner kommentierte – Drucklegung als Ullstein-Sachbuch; das 1983 (!) erschienene Buch trägt den Aufdruck »Bisher unveröffentlicht«. Robert Kempner selbst, der sich nach 1945 als deutscher Rechtsanwalt in zahllosen Prozessen engagiert für Entschädigungen der Naziopfer und als Nebenklägervertreter für eine angemessene Bestrafung der Täter einsetzte, wurde in der bundesdeutschen Nachkriegsöffentlichkeit durchaus schon früher wahrgenommen. Richard Tüngel etwa, 1951 Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit, titelte einen Beitrag über Kempner so: »Einem Schädling muß das Handwerk gelegt werden.«
Wer heutzutage das Verbot der NPD als »eindeutig verfassungsfeindlich« qualifizierte Partei (Verfassungsschutz-Chef Fromm) fordert, wird solchen Injurien freilich nicht ausgesetzt – zumindest noch nicht.
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