Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 2. April 2007, Heft 7

Geld und/oder Leben

von Harald Kretzschmar

Der weite Horizont einer neuen Weltoffenheit lockt. Doch die angeblich durchglobalisierte Gesellschaft nagelt ihre psychosozialen Opfer da fest, wo deren Geldmittel es ihnen gestatten. Nur die freiwildernden Täter des Geldmachens haben das Privileg, flexibel operieren zu dürfen. Selbst in einer von christlichen Fundamentalisten immer wieder apostrophierten Wertegesellschaft müssen sie sich von keinerlei moralischen Skrupeln plagen lassen. Medial haben sie schließlich immer gute Karten. Denn auf dem von den Medien intensiv bedienten Markt perfidester Eitelkeiten dürfen sie glänzen. Vips des Managements und Promis der Politik, Stars der Künste und des Sports sind da auswechselbar.
Der Weihrauch der Anbetung hüllt diese illustre Herrschaftselite in Zauber. Punktuell vermittelte kritische Wahrnehmung bringt sie ins Gerede, seltener jedoch zu Fall. Mehr und mehr werden die Menschen in die denkbar primitive Gedanken- und Gefühlswelt einer Afterzivilisation eingesponnen, in der sie abhängig werden von der Droge Information. Die zur Desinformation mutiert, wenn das Verschweigen und Aufbauschen von Alarmmeldungen abrupt wechselt.
Alle verfügbaren Medien pflegen in recht trauter Übereinstimmung zu agieren. Ob es sich um Karikaturenstreit oder Vogelgrippe, Iran-Atomprogramm oder Klimawechsel handelt – einer gibt den Startschuß, alle rennen los, am imaginären Ziel wird abgepfiffen, und dann herrscht wieder Ruhe.
Was das alles mit Geld zu tun hat? Wer, wenn nicht eine Topfigur der Mediengesellschaft hat das nötige Kleingeld, sich Publicity zu verschaffen? Ob nun durch Einsatz von Werbung, Anwendung von Rechtsmitteln oder diskreten Druck mittels Bewilligung oder Entzug von finanzieller Zuwendung, das ist egal. Filme werden oft erst durch effektvoll plazierte Werbemaßnahmen zu »Topereignissen«. Ein diskret mit Interviews kaschiertes Ankündigen von Premieren in Radio- und Fernsehsendungen oder im Zeitungsfeuilleton mag da genauso wirkungsvoll sein wie eine Neugier weckende Reportage. Daß ohnehin ein Heer von Rechtsanwälten bereitsteht, die für ansehnliches Honorar noch weit ansehnlichere Schmerzensgelder und andere Wiedergutmachungen erstreiten, wenn nur der leiseste Schatten aufs Prominente fällt, ist nachgerade selbstverständlich.
Und wie diverse Gelder im privaten Sponsoring oder auf der staatlichen Förderschiene akquiriert werden, ist ein offenes Geheimnis. Falls die Personen, die öffentliches Interesse beanspruchen, sich medial vernachlässigt, vergessen oder gar verleumdet fühlen, wird zu Sanktionen wie dem Entzug von Anzeigen oder der Verweigerung von Auskünften gegriffen. Man läßt sich nicht ungeahndet in die sorgfältig angerührte Suppe spucken.
Denn immerhin geht es ums Leben, ums gute. Die Events mit und für Vips, die auf Galaveranstaltungen präsentiert werden, sind so köstlich wie kostbar. Demzufolge teuer. Die öffentlichen Gebäude, die neuerdings ausschließlich von Stararchitekten entworfen, ja zelebriert werden, dürfen ebenfalls teuer werden. Am Ende sind sie in der Regel überteuert, nur eingeschränkt nutzbar und auf diese Weise ständig im Gerede. Das neben etlicher guter Kunst riesige Hohlräume beherbergende Bildermuseum am Sachsenplatz in Leipzig gehört dazu ebenso wie das zwischen Luxushotel und Nobelbank eingezwängte Glas-Beton-Gebilde der Akademie der Künste am Pariser Platz in Berlin. Passionierte Stadtwanderer können dort das Treppensteigen üben. Das Erlebnis der Künste bleibt recht eingeschränkt.
Die kommentierenden Medien quittieren das trotzdem kritiklos. Und wenn beim gigantomanischen Hauptbahnhofneubau ein paar Tonnen Stahlverzierung vom erstbesten Orkan runtergepustet sind, darf der Architekt sich die Hände reiben. Denn nun liegt wieder eine Nachfolgekostenrechnung bei Bahnchef Mehdorn, die dieser abermals aus der Fahrkartenkostenkasse bezahlen wird. Wir Bahnbenutzer sind am Ende wieder die Dummen. Der Schlaue ist der Architekt, und der Blöde ist der Bahnchef. So haben es alle autofahrenden und flugzeugfliegenden Vips und Stars und Promis gern. Und die uns und ihnen so ans Herz gewachsenen Medien erst recht. Wer (gut) leben will, soll (gut) zahlen.