von Erhard Crome
Franz Josef Jung hat sich kürzlich zu unterschiedlichen Aspekten seines Tuns geäußert – das ist jenes Kabinettsmitglied, das hierzulande immer noch die Amtsbezeichnung »Bundesminister der Verteidigung« trägt. Beim Treffen mit seinen NATO-Ministerkollegen in Sevilla Anfang Februar betonte er demonstrativ die Übereinstimmung mit den USA in bezug auf Afghanistan. Es sei die gemeinsame Überzeugung, »daß wir Sicherheit herstellen und den Wiederaufbau vorantreiben müssen«. Zu diesem Behufe wird Deutschland fünfhundert zusätzliche Soldaten entsenden und außerdem Tornado-Aufklärungsflugzeuge einsetzen. Damit wird die ursprüngliche Trennung des deutschen Einsatzes im Rahmen des ISAF-Einsatzes, zu dem es einen Wunsch der afghanischen Karsai-Regierung und einen Beschluß des UNO-Sicherheitsrates von 2001 gibt, von dem Enduring Freedom-Einsatz unter Kommando der USA, der über die Jahre ein Kriegseinsatz »gegen den Terrorismus« geblieben ist, weiter aufgelöst.
Auf der »Sicherheitskonferenz« in München hat dann Minister Jung, ebenfalls Anfang Februar, neuerlich betont, es komme »darauf an, den Gefährdungen für unsere Sicherheit dort zu begegnen, wo sie entstehen«.
Wo und warum entstehen denn aber diese Gefährdungen? Afghanistan galt doch längst als Erfolgsgeschichte: die Taliban als besiegt, die Regierung Karsai, die immerhin auf dem Petersberg bei Bonn im Dezember 2001 aus der Taufe gehoben wurde, als demokratisch, und der Rest als Problem von Polizei, Entwicklungshilfe und Wiederaufbau. Inzwischen wird allenthalben von der Korruption in der afghanischen Regierung geredet, wird bemängelt, daß die Macht Karsais eigentlich nur bis zur Stadtgrenze von Kabul reicht, die alten Warlords, die das Land bereits in den neunziger Jahren ins Chaos gestürzt hatten, weiter agieren und sich inzwischen ein demokratisches Mäntelchen umgehängt haben. Ihre Macht beruht in vielem auf einer Drogen-Ökonomie, die derzeit wertmäßig mehr umschlägt, als die Hälfte der gesamten legalen Ökonomie Afghanistans ausmacht; etwa neunzig Prozent der Opiumprodukte weltweit kommen heute aus Afghanistan.
Dabei schien es lange Zeit eine regionale und »Arbeits«-Teilung zu geben: Im Norden, wo die ISAF-Truppen walteten, akzeptierte der Westen die Stabilisierung der Lage unter der Ägide der Warlords, baute Schulen und Straßen und schaute bei der Opium-Ernte zu – nicht ohne anschließend von Rußland oder der Türkei zu verlangen, den Transport von deren Ergebnissen nach Westeuropa zu verhindern; im Süden dagegen bekämpften die USA und ihre Föderaten unter Enduring Freedom die Taliban, oder was sie zu solchen erklärt hatten. Nach fünf Jahren Anti-Taliban-Aktionen sind diese aber immer noch oder wieder da. Im Sommer 2006 wurde mit der Operation Medusa die ISAF in ganz Afghanistan zum Kampf gegen Aufständische gerufen. Massive Militäroperationen in ausgewählten Gebieten, Präzisionsangriffe aus der Luft gegen mutmaßliche Taliban-Führer, Flächenbombardements und Artilleriegefechte brachten eine deutliche Verschärfung der Kämpfe im Vergleich zu all den Jahren seit 2001.
Mitgeteilt wurde der Tod von 4 000 Talibankämpfern, Zivilisten und Soldaten. Wieviele davon tatsächlich Taliban waren, wieviele Zivilisten und wieviele Soldaten der afghanischen Armee Karsais wurde dabei nicht aufgeschlüsselt. Dabei wäre doch gerade das sehr aufschlußreich. Interessanterweise wurde auch von Gefangenen nicht gesprochen. In einem Krieg, der dem internationalen Kriegsrecht folgt, müßte es doch Kriegsgefangene geben, die irgendwo ordnungsgemäß interniert werden. Hier ist keine Rede davon. Offenbar werden keine Gefangenen gemacht, das heißt die angeblichen oder tatsächlichen »Aufständischen« oder »Taliban« werden als »Terroristen« behandelt, gegebenenfalls erst erschossen und dann zu Taliban erklärt. Dann gibt es natürlich auch Schwierigkeiten, Zivilisten von Taliban zu unterscheiden. Die Kämpfe wurden augenscheinlich mit großer Brutalität geführt, und sie hatten deutlich zugenommen: Im Jahre 2005 wurde von 1500 Gefechten berichtet, 2006 von 4500.
Nun liegt die Vermutung nahe, daß dieser Krieg seine Gegner immer wieder neu schuf: Wenn in den umkämpften Pashtunen-Gebieten im Süden ganze Gebiete durch Flächenbombardements entvölkert werden und die ständigen Militäreinsätze ein allgemeines Gefühl der Unsicherheit aufrechterhalten, finden sich offenbar vermehrt wieder junge Männer, die sich der Gegenseite anschließen, die weiter unter »Taliban« firmiert. Der »Krieg gegen den Terror« gebiert auch in Afghanistan weiter die Ungeheuer, die ihn fortsetzen. Insofern war das Haupt der Medusa, aus dem immer wieder die Schlangen wachsen, als Namensgeberin für die Operation des Westens 2006 durchaus angebracht; die Frage dabei ist nur, ob Zynismus oder ein unbewußter Realitätsbezug à la Freud dabei Pate gestanden hat.
Jetzt ist die Rede davon, eine große Frühjahrsoffensive des Westens 2007 werde die Feinde nun endgültig besiegen. Das hatte die sowjetische Militärführung dereinst Jahr für Jahr erklärt – bis sie abziehen lassen mußte. Im Klartext heißt das heute: Die Lage in Afghanistan ist bedrohlicher geworden, die Kriegsführung des Westens ist gescheitert, soll aber durch weitere Verschärfung, mehr Mittel und Kräfte nun doch eine Entscheidung in seinem Sinne bringen. Dies ist die Lage, in die die deutsche Bundesregierung die zusätzlichen Flugzeuge und Soldaten schickt.
Zugleich hat Minister Jung mitgeteilt, er wolle die Zahl der zum Wehrdienst einberufenen Männer im Jahre 2008 um fünftausend erhöhen. Auch aus dem bürgerlichen Lager waren Worte der Verwunderung zu hören: Junge Liberale und Junge Union meinten, die Wehrpflicht gehöre abgeschafft, die Bundeswehraufgaben sollten ausschließlich durch freiwillig Längerdienende erfüllt werden, zumal Wehrpflichtige im Grundwehrdienst ohnehin nicht im Ausland eingesetzt werden dürften. Dem wurde beschieden, diese Überlegung sei falsch, denn ein großer Teil des Nachwuchses werde im Moment unter den Wehrdienstleistenden rekrutiert. Wer schon einmal da ist, bleibt mitunter auch.
Vielleicht rechnet man unter den deutschen Militärplanern auch mit einem Rückgang der Freiwilligen-Meldungen, wenn denn die Zinksärge zurückkommen anstelle der kräftigen jungen Männer und Frauen.
Erforderlich sind nicht noch mehr Waffen und Soldaten in Afghanistan und in aller Welt, sondern nötig ist eine andere Politik, eine Politik des Ausstiegs aus der Logik des Militärischen.
In seiner Verteidigungsrede im Weltbühnen-Prozeß sagte Carl von Ossietzky: »Wir Anhänger des Friedens haben die Pflicht, immer wieder darauf hinzuweisen, daß der Krieg nichts Heroisches bedeutet, sondern er nur Schrecken und Verzweiflung über die Menschheit bringt.«
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