von Jens Knorr
Frauen sind Sexpuppen, Egomaninnen und Edelnutten, seelenlose oder seelenvolle, gleichviel. Und das empörendste: Sie können ohne Mann auskommen, zumindest ohne Hoffmann. Was nimmt es Wunder, daß der zum Glase oder gleich zur Flasche greift. Die Hausfrau an seiner Seite hat er dabei ganz übersehen. Aber die ist in Jacques Offenbachs Opéra fantastique Les Contes d’Hoffmann auch gar keine Hausfrau, sondern Muse, die in Gestalt des Mannes Nicklausse den Dichter Hoffmann durch seine Erzählungen begleitet.
»Er trank, um sich zu montieren«, schreibt der Berliner Jurist, Verleger und Schriftsteller Hitzig 1823 über seinen Freund, den Mehrberufler E.T.A. Hoffmann.
Montage ist das stilbildende Kompositionsprinzip auch der phantastischen Oper Hoffmanns Erzählungen. Aus seinen Operetten entwachsen, legt sie die Untergründe frei, denen seine Operetten entwuchsen. Die Montage des Frauenkörpers zu Lustmaschine, Lustinstrument und Lustkörper, an die man Verstand, Gefühl und zuletzt noch Potenz verliert und die man demontieren muß, will man sie besitzen, hat der Chronist der industriellen Revolution in Deutschland Hoffmann nüchtern beschrieben, und der Chronist des französischen Hochkapitalismus Offenbach hat den Schmerz darüber lustvoll auskomponiert, bis zur unsagbar süßen Neige.
Egal, an der Komischen Oper Berlin trägt die Assistentin für das gehobene Management (Stella Doufexis) ihrem Hoffmann (Timothy Richards), der alles mögliche und nichts richtig ist, jedenfalls kein Dichter, den Mantel nach, nicht aber seine Frauengeschichten. Regisseur Thilo Reinhardt, Bühnenbildner Paul Zoller und Kostümbildnerin Katharina Gault haben die Inszenierung vor einigen Monaten für Willy Decker und Wolfgang Gußmann übernommen und mit der Inszenierung sich. Sie entschieden sich für die »quellenkritische« Ausgabe von Fritz Oeser, die längst durch die wahrhaft quellenkritische von Michael Kaye und seit neuestem die von Jean-Christophe Keck ersetzt worden ist. In einem Einheitsraum, Nachtclub, Foyer, Kneipe oder Lounge von vor Jahrzehnten, läßt ein alternder junger Wilder drei Beziehungskisten Revue passieren und sich dabei vollaufen, verpaßt so die vierte und verläßt einsam das Lokal, gefolgt von der fünften oder nullten, die er nie im Leben aufreißen wird. Feierabend!
Anstatt Geschichte und Geschichten aus der Musik auszulesen, in der sie eingelagert sind, anstatt das Werk aus dem Notentext heraus und diesen selbst neu zu montieren, verpaßt die Regie lediglich einem Markenartikel einen »Relaunch« – in diesem Fall mehr Stephen King denn Stanley Kubrick, mehr »Shining« denn Sein.
Unter Kapellmeister Kimbo Ishii-Eto rattern Chorsolisten und Orchester der Komischen Oper im Einheitsforte durch die Partitur, so daß schwerlich entschieden werden kann, ob die ihren Partien im großen und ganzen gewachsenen Sänger – neben den oben genannten Peteris Eglitis (Lindorf, Coppelius, Dr. Mirakel, Dapertutto), Cornelia Götz (Olympia), Sinéad Mulhern (Antonia), Karolina Gumos (Giuletta) und andere – unter besseren Umständen auch zu differenziertem Ensemblegesang fähig sind.
Es hätte mehr als den einen oder anderen Drink gebraucht, um die Dinge in die rechte Perspektive zu rücken, eine Muse zum Beispiel.
Nächste Vorstellungen: 10., 16., 25., 31. März; 8., 15., 24. April; 1. und 5. Mai
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