von Jürgen Rennert
»Christliche Motive in der öffentlichen Kunst der DDR« – die Ausstellung und ihr Titel verweisen auf einen Sachverhalt, der in den mehr oder minder schrillen öffentlichen Auseinandersetzungen um das einstige Sein und Wesen, um das Gewesensein der DDR immer zu kurz kommt: Dissens und Widerständigkeit gegenüber staatstragenden Ansprüchen und Normen gab es nicht allein im Untergrund und in gesellschaftlichen Nischen, sondern auch im öffentlichen Raum und in Räumen, die einer interessierten und neugierig insistierenden Öffentlichkeit auf direktem oder indirektem Wege durchaus zugänglich waren.
Kleine Galerien, Kirchgemeinden, kirchliche Institutionen und kirchliche Verlage sowie Verlage der »Blockparteien« gaben Fingerzeige und boten immer wieder Einblick in künstlerische An- und Absichten, die über den Tellerrand des SEDeigenen Selbstverständnisses hinausragten. Auch in der DDR konnte sein, was nicht sein durfte oder sollte. Richtiges Leben erweist seine Notwendigkeit erst im falschen. Nichts befördert die Rezeption theistischer Schriften mehr als eine dem Atheismus gläubig anhängende Staatsdoktrin. Von Ost nach West ist der Blick abendländischer als der von West nach Ost. Und: Die Antwort auf die Frage, ob jemand vor oder hinter der Mauer siedelte, war – solange sie stand – immer auch bedingt durch dessen Selbstortung und Selbstbehauptung.
Anfang der achtziger Jahre ließ sich der unerbittlich sanft räsonierende und scharf aufmerkende Pfarrer Dr. Heinz Hoffmann vom schizoiden und in manchem lässig gewordenen Teufel der DDR-Kulturpolitik reiten. Er ritt ihn sich zu. Anscheinend unbeholfen und ohne besondere Arglist. Er konzipierte unter dem Titel Dialog mit der Bibel einen Bild-Text-Band, der jenseits aller ideologischen und geistlichen Prämissen unter anderem belegen wollte, daß die Sprache der Kunst nur in dem Maße autonom ist, wie sie der Versuchung zur Bebilderung und Ästhetisierung des Vorgewußten und Vorgedachten widersteht. Dem lag auch die ketzerisch fromme Erkenntnis des ahnungsvollen Theologen zu Grunde, daß es, ungeachtet des Selbstverständnisses der Künstlerinnen und Künstler, eine »christliche Kunst« ebensowenig geben kann wie beispielsweise eine feudalistische, sozialistische oder kapitalistische. Wenn Kunst nicht Kunst ist, ist sie nicht. Zumindest nicht von anhaltender Bedeutung. Es gab immer christliche Bäcker, aber nie und nimmer christliche Brötchen.
Heinz Hoffmann wußte den von der Evangelischen Kirche der Union seit 1950 unterhaltenen Kunstdienst der Evangelischen Kirche, den er leitete, hinter sich. Neben sich hatte er die in Ost-Berlin beheimatete Evangelische Haupt-Bibelgesellschaft, die, wie alle kirchlich verbandelten Verlage und Unternehmen, gehalten war, sich öffentlich in nichts einzumengen, was von volksbildend oder kulturell entscheidender Bedeutung war. Und vor sich sah Hoffmann – das die Druckgenehmigungen bewilligende oder nicht bewilligende Ministerium außer acht gelassen – vor allem die Qual der Wahl: Nach welchen Kriterien sollte er auswählen? Wer ist ansprechbar? Wer macht gute atheistische Mine zum als christlich apostrophierten Spiel?
Heinz Hoffmann kann noch selbst gefragt werden, wie er auf jene 76 bildenden Künstlerinnen und Künstler kam, die er in dem 1984 erstmals in zehntausend Exemplaren verlegten und bald vergriffenen Band Dialog mit der Bibel – Malerei und Grafik aus der DDR zu biblischen Themen versammelte. Heute liest sich dieses Buch wie ein Schatzbehalter. Ein Teil der Künstlerinnen und Künstler sind mit ihren Arbeiten nun auch in der Ausstellung in Beeskow gegenwärtig. Die von Friedrich Stachat in Zusammenarbeit mit dem Kunstarchiv Beeskow besorgte Präsentation führt nicht nur das heute weithin Verdrängte vor Augen, sondern belegt, daß unverlorene Ehre keiner Rettung bedarf, wohl aber der verdeutlichenden Erinnerung und genauen Erwähnung. Wider alle andere Meinung und Verfahrensweise des für maßgeblich genommenen Feuilletons, das den politisch vergangenen Osten allein mit Unfreiheit, künstlerischer Provinzialität, Duckmäuserei und allen anderen Erbübeln in eins wirft.
Allein die Auflistung der in dieser Ausstellung versammelten Namen liest sich weithin wie ein Who is Who des künstlerisch eingelösten großen Anspruchs und der nonverbalen Hoffnung auf Erkenntnis der immergleichen Weltzustände: Alexander Alfs, Fritz Cremer, Michael Diller, Alwin Eckert, Ellen Fuhr, Werner Göritz, Wilhelm Groß, Erwin Hahs, Joseph Hegenbarth, Volker Herdam, Bernhard Heisig, Iris Hoffstetter, Hartmut Hornung, Christa-Maria Jeitner, Franz Johannknecht, Joachim John, Hans Jüchser, Werner Juza, Dora und Hubert Kleemann, Joachim Lautenschläger, Rudolf Nehmer, Friedrich Press, Thomas Ranft, Herbert Seidel, Reinhold Splett, Werner Tübke, Elisabeth Voigt, Winfried Wolk und Fotis Zaprasis. Jeder Name steht neben seiner respektablen Biographie für ein Umfeld, in dem vehement gelebt wurde und in dem sich leben ließ: nach äußersten – nicht: äußeren – Maßgaben.
Da etliche von mir verehrte Atheisten und Kommunisten, wie zum Beispiel der Grafiker Herbert Sandberg und der Bildhauer Fritz Cremer sowie der seit eh und je alle Jetztzeit klassizistisch hinterfragende Werner Tübke, die Einladung zur Teilnahme am Dialog mit der Bibel freundlich angenommen hatten, meinten Hoffmann und der Verlag: Im Blick aufs ewig argwöhnende Kulturministerium könnten vermittelnde und abwiegelnde Texte eventuell von Nutzen sein. So wurde ich um die Anfertigung von »Meditationstexten« gebeten. Das Ergebnis war – wider meine Befürchtungen – letztlich mehr als Lückenfüllerei. Es erwies sich im dialektischen Sinne als produktiv. Zum einen hatte ich durch meine unvermeidbar vereinseitigende Seh- und Lesart die grundsätzlich wünschenswerte, allseitige Rezeption der Bilder beschädigt. Zum anderen aber dokumentierten die gelungenen Texte einmal mehr, wozu gute Bilder unvermeidbar anstiften und verführen: zu kompromißloser Öffnung und Weitung des eigenen Blicks. Und dieser Vorgang ist notgedrungen subversiv. Karl-Georg Hirsch zum Beispiel hat mir mit seinem Holzschnitt Spaziergang nach Golgatha ein Bild ins Hirn gestellt und die Zunge in einer Weise gelöst, die mich bis auf den heutigen Tag im Blick auf Jesu Hinrichtung oder auf etwaige Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht anders als damals sprechen läßt:
Bei soviel Golgatha / ist Skepsis angebracht: / Welches von den armen Schweinen / ist denn nun das Opferlamm? // Bei soviel Golgatha / kommt Sprache glatt um den Verstand, / mit ihm der Mensch um Sprache. // Das Wort vom Menschen / und vom Menschensohn / flieht steingrau ins Vokabular / der Landser und der Riten.
Das mag am Bilde vorbeigeredet sein. Dennoch bleibt festzuhalten: Auch derlei wurde in der DDR öffentlich gedacht, gesagt, gedruckt und verbreitet.
Christliche Motive in der öffentlichen Kunst der DDR, Burg Beeskow, dienstags bis sonntags 11-17 Uhr, ab April 10-20 Uhr, bis 22. April
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