von Kai Agthe
Die Morde und Bombenanschläge der Roten Armee Fraktion (RAF) haben in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts die Grundfesten der Bundesrepublik erschüttert. Eine der schillerndsten Figuren der Gründergeneration war der 1943 geborene Andreas Baader, über den Klaus Stern und Jörg Herrmann jetzt eine detaillierte Biographie vorlegten. Ein Vorzug dieses Buches ist es, daß zahlreiche Zeitzeugen sich erstmals über Baader äußern.
Wie konnte ein Mensch wie Baader der Kopf einer terroristischen Vereinigung werden? Halten wir uns an die Fakten. Vater Baader, ein promovierter Historiker, fiel im Zweiten Weltkrieg. Die Mutter war mit der Erziehung des renitenten Sohnes früh überfordert. Auch wenn Andreas Baader viele Schulen und Internate besuchte, einen Schulabschluß konnte er wegen seiner latenten Aufsässigkeit so wenig vorweisen wie den Abschluß einer Lehre oder eines Studiums. Er gab sich aber gern als Journalist und Schriftsteller aus. Ob in München oder, ab 1963, in West-Berlin: Baader verbrachte in den sechziger Jahren die Tage am liebsten im Bett und die Nächte in Kneipen. Er ging mit gepudertem Gesicht und künstlichen Wimpern aus dem Haus und ließ sich von Frauen ebenso bewundern wie von Homosexuellen. »Andreas Baader«, so die Autoren, »war auch ein Faulpelz und vergnügungssüchtiger Flaneur, ein Dandy und Aufschneider.« Er war ein Egozentriker, der zuletzt meinte, als Terrorist, der Kaufhäuser anzündet, Bomben legt und Menschen erschießt, ein zweiter Che Guevara zu werden.
Merkwürdig, daß Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof zu Baader wie zu einem Guru aufsahen. Das kann vielleicht mit Charisma erklärt werden, denn intellektuell waren ihm beide – Doktorandin die eine, Journalistin die andere – deutlich überlegen. Das früh gezogene Fazit fällt entsprechend vernichtend aus: »Ein verwöhntes Muttersöhnchen, das ohne Vater aufwächst. Ein bisexueller Schönling. Ein Narziß mit maßgeschneiderten Hosen und großem Showtalent zur Selbstinszenierung. Ein durchgeknallter Wirrkopf, der eher zufällig in den Mahlstrom des Achtundsechziger-Aufstandes gerät und dort die Gewalt etabliert. Ein Autoknacker mit Lust am Krawall. Ein Verführer, der intelligente, attraktive Frauen wie Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof für den bewaffneten Kampf gefügig machte.« Zum Mythos taugt so einer nicht.
Das sah Jean-Paul Sartre nach seinem aufsehenerregenden Besuch in Stammheim ähnlich. Daniel Cohn-Bendit kolportiert, der Philosoph habe nach Verlassen des Gefängnisses »in seiner typischen trockenen Art« ausgerufen: »Ein Arschloch, dieser Baader.« Ein Bruderbund zwischen Geist und Gewalt, wie damals prophezeit wurde, ist hier nicht geschlossen worden. Die RAF-Propaganda endete auch in Stammheim nicht. Die inhaftierten Terroristen sprachen gebetsmühlenhaft von der durch den Staat ausgeübten »Isolationsfolter«. Davon konnte keine Rede sein. Im Gegenteil: Die RAF-Mitglieder genossen Privilegien. Baader besaß zum Zeitpunkt seines freiwilligen Todes eine Bibliothek von 974 Büchern und einen Plattenspieler – der ihm auch als Versteck für eine Pistole diente. Es war keine Seltenheit, daß der angeblich isolierte Terrorist täglich Besuch von fünf bis sechs Personen erhielt.
Die Geschichte von Stammheim ist auch die Geschichte von Pannen und Versäumnissen. So war es für die Gefangenen problemlos möglich, mittels selbstgebauter Wechselsprechanlage auch nach den Schließzeiten bei Bedarf zu kommunizieren. Drogen, Sprengstoff und eben die Pistolen, mit denen Baader und Jan-Carl Raspe im Herbst 1977 Selbstmord verübten, konnten mühelos in das als sicherste Haftanstalt geltende Gefängnis eingeschmuggelt werden.
RAF-Sympathisanten vermuteten hinter dem kollektiven Suizid eine Mordaktion des Staats. Die beiden Autoren legen jedoch dar, daß von einer gezielten Ermordung der Inhaftierten, die sofort nach der Selbsttötung der RAF-Aktivisten kursierte, nicht die Rede sein kann. Doch mit dem Tod von Baader, Ensslin und Meinhof war die RAF noch lange nicht am Ende angelangt. Die zweite und dritte Generation mordete weiter. Letztere auch nach dem politischen Zusammenbruch in Osteuropa. Alfred Herrhausen und Carsten Detlev Rohwedder waren die letzten Opfer. Erst 1998 gab die terroristische Vereinigung bekannt, ihr blutrünstiges Tun einzustellen.
Der Fall der Mauer zeigte, daß einige Terroristen in der DDR eine neue Identität erhalten hatten – dem Grundsatz verpflichtet, daß der Feind meines Feindes mein Freund ist: Inge Viett etwa, die in Magdeburg festgenommen wurde.
Begonnen hatte diese Entwicklung mit dem als Lichtgestalt gefeierten Andreas Baader, der tatsächlich nur ein Verbrecher war. Sein ziel- und haltloses Leben ist, das zeigt die vorliegende Biographie, erbärmlich zu nennen. Der Theologe Helmut Gollwitzer brachte es auf den Punkt, als er meinte, daß der von der RAF verbreitete Schrecken, kein antiimperialistischer Kampf, sondern »nihilistischer Wahnsinn« gewesen sei.
Klaus Stern, Jörg Herrmann: Andreas Baader. Das Leben eines Staatsfeindes, Deutscher Taschenbuch Verlag München, 359 Seiten, 15 Euro
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