von Thomas Heubner
Freitags ab eins macht jeder seins – die flotte Überlebensmaxime galt zwar nicht mehr, seitdem die Landeskinder vor vielen Jahren den kollektiven Schritt vom Wir zum Ich gewagt hatten. Dennoch war es üblich, daß Mandy an diesem Tag früher Feierabend machen konnte als sonst in der Woche. Dann traf sie sich stets mit ihrer Busenfreundin Gabi Krüger in der Karl-Marx-Allee im Café Ehrenburg, das eine geringere Gummibaumdichte als andere Lokale aufwies und von dem viele Zugezogene glaubten, es sei nach einer preußischen Festung, nicht aber nach einem russischen Schriftsteller benannt. Am Bistrotisch hechelten die beiden Frauen gern die Problemzonen ihrer Bekannten durch, analysierten die Sozialstruktur in Eritrea oder den Entwicklungsstand ihrer Beziehungskisten. Von letzteren besaß Mandy leider nur eine alte und stabile, so daß sie sich vor allem über ihre Arbeit und die Kollegen ausließ.
Auch dieses Mal hatte Mandy an ihrem Milchkaffee nur genippt und den ersten Cointreau hastig hinuntergestürzt, da echauffierte sie sich über ihren Chef Schnakenburg, diesen in die Jahre gekommenen rheinischen Kuschelpopper. Der wolle nun in der Firma alles Bewährte umkrempeln, alles transparenter und effizienter gestalten, solle sich Gabi doch bitteschön mal vorstellen. Wie ein Wanderprediger, der seinen Colt im Evangelium versteckt, habe er schon aus der traditionellen wöchentlichen Dienstbesprechung einen Jour fixe gemacht, was allerdings weder mit Geschlechtsverkehr noch mit Drogen zu tun hätte. Und nun sei er dabei, die altgedienten Arbeitsbereiche und Abteilungen in Projekte aufzuteilen. Er habe schon ein Projektstimmungsbarometer aufgestellt, das Projektumfeld untersucht und die Projektplanung bis zum Projektmachbarkeitskonzept vorangetrieben, stöhnte Mandy. Bei der Einteilung des Projektteams sei sie zur Projektassistentin degradiert worden, verantwortlich für die Projektdokumentation, während Schnakenburg als Projektmanager sich den großen Drauf- und Überblick vorbehalte.
»Kenne ich«, unterbrach Gabi lachend ihre Freundin. »Jeder macht was er will, keiner macht was er soll, aber alle machen mit! Plane mit, arbeite mit, regiere mit! Das hatten wir schon mal. Nur das mit dem Mitregieren war nicht so wörtlich gemeint.« Und dann erzählte sie von ihren Kindern, die in der Kita und Schule ebenfalls Projekttage hätte, ähnlich wie früher, nur daß das damals Wandertag oder UTP, Unterrichtstag in der Produktion geheißen hatte. Schließlich erinnerte sie an Klinsi, den Projektleiter 2006, und an den kleingewachsenen Rinderzüchter, der in die Politik gegangen war und seine eigene Partei gern als Projekt bezeichnete.
Langsam entspannte sich Mandy, die Angst um ihren Arbeitsplatz wich von ihr. Denn die Erfahrung sagte ihr, Projekte können, müssen aber nicht zwangsläufig eine Projektabwicklung zur Folge haben. Sie sind nicht so richtig zum Anfassen, wohl mehr eine Idee und ein Plan, ein Entwurf und Vorhaben, etwas Hingeworfenes, was auch wieder verworfen werden kann. Nichts Ernstes also. Noch entschlossener als zuvor orderte sie den nächsten Cointreau.
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