von Sibylle Sechtem
Die Redaktion des Blättchens hat es in Heft 3/2007 unternommen, den Brief eines Politikers abzudrucken: des Berliner Landesvorsitzenden der Linkspartei.PDS Klaus Lederer, der seinem Ärger Luft machen wollte über einen Text, den er zuvor im Blättchen gelesen hatte. In der Weltbühne von Jacobsohn, Ossietzky und Tucholsky hat es so etwas nicht gegeben und in der im Exil herausgegebenen Neuen Weltbühne der dreißiger Jahre auch nicht: daß man derlei den Rang eines Artikels gibt. Die Blättchen-Redaktion hat hier mit einer Tradition gebrochen. Warum? Weil – vielleicht – in ihrem Herd noch immer das kleine Flämmchen der »Fürstenerziehung« glimmt?
Sei’s drum. Nicht der Bruch einer Tradition ist es, der mich hier wirklich interessiert, sondern das Fortbestehen einer solchen – und zwar derjenigen der Arroganz der Macht. Die ist uns im Lederer-Brief so deutlich vor Augen geführt, daß es Schaudern macht (und jeden noch verbliebenen Gedanken an »Fürstenerziehung« ad absurdum führt). Nichts ist begriffen in diesem Brief davon, daß, wenn man als Sozialist handeln will in dieser Gesellschaft, die verdammte Pflicht und Schuldigkeit hat, die Welt von unten zu betrachten, und daß man davon Zeugnis ablegen muß hör- und sichtbar jeden Tag. Nichts desweiteren davon, daß diese Pflicht und Schuldigkeit im Falle des (Mit)Regierens nicht etwa geringer wird, sondern sich vervielfachen muß angesichts dessen, daß es nun Menschen gibt in großer Zahl, die unter einem leiden – egal, wie eifrig man das für sich selbst auch immer zu erklären, abzuschwächen oder kleinzureden versucht. Und nichts schließlich davon, daß engagierter linker Journalismus gar nicht anders kann als kritisch sein mit diesen Verhältnissen, denn sonst wäre es kein linker Journalismus mehr, und daß mit Blindheit geschlagen ist, wer nicht sieht, daß ein Artikel wie der, den Lederer wortreich zurückgewiesen hat, Öffentlichkeit ist, will sagen: Ausdruck einer Stimmung, die ernstgenommen werden muß.
Die Tradition der Arroganz der Macht – sie ist eine lange, und alle Vorgänger der Blättchen-Macher können ein Lied davon singen: die der Weltbühne ebenso wie die der Neuen Weltbühne und die der Weltbühne der DDR.
Die Zahl der SPD-, KPD- und SED-Funktionäre, die sich einen Dreck scherten um die analysierenden, besorgten, verzweifelten, wütenden, appellierenden, anregenden, herausfordernden Wortmeldungen linker Intellektueller, ist Legion. Wie freudig hätte man zur Kenntnis genommen, wenn Lederer mit dieser Tradition gebrochen hätte.
Zwei Fünftel ihres Stimmenanteils hat die Linkspartei.PDS bei den Wahlen im Jahre 2006 gegenüber denen im Jahre 2001 verloren. Zwei Fünftel. Oder auch: fast die Hälfte. Keiner hat dafür die Verantwortung übernommen, alle machen – trotz gegenteiliger Ankündigungen – weiter wie bisher. Und ein Journalist, der auf diesen Widersinn aufmerksam macht, erfährt, daß man seine Zeitschrift, das Blättchen, nun nicht mehr lesen werde, denn: »man muss nicht an jeder Mülltonne schnuppern« (Lederer). Oh Gott, ja. »Die Demokratie ist eine Frage der geistigen Geschultheit und des sittlichen Bewußtseins, woran das meiste zu tun, worüber viel zu sagen bleibt«, schrieb Heinrich Mann in der Neuen Weltbühne vom 30. Dezember 1937.
Schlagwörter: Arroganz der Macht, Klaus Lederer, Sibylle Sechtem