von Klaus Hammer
Noch vor fast vierzig Jahren – 1968 – vertrat er die Bundesrepublik auf der Biennale in Venedig, obwohl damals heftige Diskussionen um sein bildhauerisches Werk und um die gegenständliche Kunst überhaupt geführt wurden. Während in der DDR die realistische Kunst zur Doktrin erhoben worden war, wurden in der Bundesrepublik die gegenständlichen Künstler ins Abseits gedrängt. Man glaubte, nur noch abstrakt arbeiten zu können. Gustav Seitz, der 25 Jahre – von Reisen und kriegsbedingten Unterbrechungen abgesehen – in Berlin verbracht hatte, war 1958 nach Hamburg gegangen, wo ihm dann nur noch ein gutes Lebensjahrzehnt verblieben war. Er, der an den Kunsthochschulen in West- wie in Ostberlin gearbeitet hatte und wegen seiner Ostkontakte im Westen scharf kritisiert wurde, repräsentierte die gegenständliche Bildhauerei in der DDR wie in der Bundesrepublik.
Seitz ging vom Naturstudium aus und strebte in Respekt vor der klassischen Antike nach einer Verbindung von lebendiger Sinnlichkeit mit der ruhig geordneten Form. Der französische Meister Aristide Maillol war sein wichtigstes Vorbild. Doch während dessen Frauenakte als Animationen der Elemente verstanden werden können, ging es Seitz mehr um den einzigen »eigentlichen Moment« im kreatürlich-sinnlichen Leben des Menschen.
Zum 100. Geburtstag des Künstlers hat die Gustav Seitz Stiftung Hamburg in Zusammenarbeit mit dem Ernst Barlach Haus Hamburg, der Ernst Barlach Stiftung Güstrow, dem Museum Behmhaus in Lübeck und dem Georg-Kolbe-Museum Berlin eine Wanderausstellung organisiert, die jetzt ihre letzte Station – Berlin – erreicht hat. Mit fünfzig seiner wichtigsten Plastiken und sechzig Zeichnungen soll eine Neubewertung der figurativen Bildhauerei der fünfziger und sechziger Jahre angeregt werden, die im seinerzeit keineswegs unumstrittenen Werk von Seitz einen Höhepunkt erlebt hatte.
Die lebensgroße Bronze Eva (1947), ein Werk von archaischer Strenge wie leiblicher Lebendigkeit, das eine innere Haltung, eine Lebenseinstellung vorprägte, war gleich ein großer Wurf. In ihrem verhaltenen Bewegungsmoment unterscheidet sich dann die Gefesselte (1949) von der statuarischen Eva: Sie verharrt im Schritt, hat die Arme vor dem Körper übereinander gelegt und hält den Kopf leicht gesenkt – eine Passionsfigur, deren Fesselungsmotiv bis dahin vornehmlich in Männerakten gestaltet wurde.
Während der überdimensionierte Körper (gewaltige Hüften – winzige Brüste) der Tanzenden (1960) dennoch zu schweben scheint, balanciert die füllige Figur mit dem Titel Lob der Torheit (1960) auf einem Bein, hat das andere grotesk-graziös zum Tanzschritt emporgezogen, den Kopf närrisch zurückgelegt und die Hand geziert erhoben. Mit jeweils anders verschränkten Gliedern seiner weiblichen Aktfiguren hat Seitz immer wieder neue plastische Kompositionen gefunden – in sinnlicher Ausstrahlung, in sich versunken oder in der traditionellen Würdeformel des Sitzens und Thronens. Das maßstabsetzende Käthe-Kollwitz-Denkmal, das die Künstlerin als vorgebeugt sitzende alte Frau, mit einer Zeichenmappe neben sich und der rechten Hand mit dem Kohlestift auf dem Schoß, zeigt, wurde 1960 auf dem Käthe-Kollwitz-Platz in Berlin Prenzlauer Berg aufgestellt.
Ganz anders der überlebensgroß, menetekelhaft wirkende Geschlagene Catcher (1966), ein in seiner Menschenwürde verletzter, zum Torso verstümmelter Kämpfer, der Täter und Opfer zugleich in einer Gestalt ist. Die monumentale Liegefigur Große Danae (1968) wiederum ist ganz Erwartung und Hingebung, spirituell ebenso wie sinnlich – die Glieder muten wie frei über dem Steinsockel schwebend an.
Seitz scheint im zeichnerischen wie plastischen Spätwerk dann nahezu vom Eros überwältigt worden zu sein – er hat die menschliche Gestalt als Torso, als aufsteigende Vertikale, als männliche und weibliche Form, als Gegensätze wie sich ergänzende Paare, in der intimen Begegnung, als Idole geformt, auf die Brüste, die Hüfte und das Gesäß konzentriert, mit einem hohen Abstraktionsgrad, dabei die Grundformen Quadrat und Kreis, Block und Kugel bevorzugend.
Seitz hat viele Auftragsarbeiten für historische Persönlichkeiten, für Politiker und bedeutende Künstler seiner Gegenwart geschaffen. Bei manchen ist unser Bild von ihnen durch seine Arbeiten geprägt worden. Nachdem er im Auftrag der Akademie der Künste in der DDR das Porträt von Heinrich Mann vollendet hatte, machte er sich an das Porträt des Bruders Thomas, der ihm 1954 in seinem Haus in der Schweiz Modell saß. Seitz hat sein Ringen, die Auseinandersetzung des Künstlers mit dem Modell, erregend im Tagebuch festgehalten. Erst 1961 gelang ihm das, was er eigentlich wollte: die Darstellung des inneren Wesens des Schriftstellers, verbunden mit seiner eigenen Individualität.
Im Picasso-Kopf gestaltete er 1952 – obwohl die Begegnung mit Picasso nur vierzig Minuten gedauert hatte – den großen, fast seherischen Ernst, mit dem dieser Jahrhundertkünstler sein gigantisches Werk geschaffen hat.
Mit dem Kopf Brechts hingegen hat sich Seitz jahrelang beschäftigt, begann aber die Arbeit an dessen Porträt erst nach dessen Tode im Jahre 1956. Was macht eigentlich den wahren Brecht aus? Seitz wollte keinen vorübergehenden Moment festhalten, sondern das Typische, das Gültige, das Ureigentliche in der Haltung des verehrten Freundes. 1967 entstand sein letztes Brecht-Porträt: Der klaren Form wurde jetzt durch die schrundige, aufgekratzte »Haut«, die »Verletzungen« und »Verwundbarkeit« bezeugen, ein unruhiges Element entgegengesetzt. Der Dresdner Zeichner und Lithograf Hans Theo Richter schrieb an Seitz: »Deine Entwicklung geht hin ganz auf das ›Inwendige‹ und ist so ein wunderbarer Gegenpol zu Deinen ganz daseienden Mädchen.«
Georg-Kolbe-Museum Berlin, Sensburger Allee 25 (Nähe S-Bahnhof Heerstraße), dienstags bis sonntags 10 bis 17 Uhr, bis 28. Januar. Das Buch zur Ausstellung kostet 20 Euro.
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