von Sibylle Sechtem
Die Demokratie ist ein willig Ding – ganz, wie der Zeitgeist sie haben mag. Flexibel, fügsam, anpaßbar. In Potsdam läßt sie sich gerade mal wieder besonders widerstandslos zurechtbiegen. 42,8 Prozent gelten dort dieser Tage als »überwältigende Mehrheit«, die anderen 57,2 als unwichtig.
Im Herbst 2006 sollte die Stadtverordnetenversammlung in der schon ewig gärenden und die Potsdamer seit Jahrzehnten entzweienden Schloßfrage endlich Nägel mit Köpfen machen. Ein Bebauungsplan war zu beschließen. Und zwar einer, der vorsah, daß auf dem Grundriß und in der Kubatur sowie mit Fassadenelementen des alten, kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges zerbombten und 1960 abgerissenen Stadtschlosses ein neues Landtagsgebäude entstehen soll. Die Voraussetzungen für einen positiven Beschluß waren günstig: Der Landtag hatte mit der Mehrheit der Regierungskoalition aus SPD und CDU entschieden, das dafür notwendige Geld zur Verfügung zu stellen, und auch im Stadtparlament schienen die Mehrheiten klar. Die achtzehn Abgeordneten der Linken/PDS würden – das wußte man – dagegen sein, die drei von der Fraktion Die Andere auch; aber gegen diese 21 würden auf jeden Fall die zehn von der SPD, die zehn von der CDU, die drei vom BürgerBündnis/FDP und die drei von Bündnis 90/Die Grünen stehen – also 26 insgesamt –, und die zwei von der Familienpartei, die würden dieses Kräfteverhältnis nicht mehr umkrempeln können.
Indes: Es kam anders. Der Bebauungsplan fiel durch. Das, was vorher als »Schloßkoalition« gehandelt worden war, platzte. Wer da im einzelnen von der Fahne gegangen war, ließ sich nicht ermitteln, denn die Abstimmung war geheim. Klar aber wurde: Es gab nicht nur Gegner des Konzeptes überhaupt, sondern auch solche, denen die Formel »in der Kubatur des Stadtschlosses« nicht weit genug ging. Sie wollten nicht nur die Kubatur und auch nicht die versprochenen Fassadenelemente, sie wollten das Schloß total und en détail – und verspielten damit alles.
Aber ein Raunen ging durch den demokratischen Blätterwald, und siehe: Als die Stadtverordneten durch einflußreiche Zeitungsredakteure, allgegenwärtige »Prominente« und auswärtige Leserbriefschreiber genügend oft der »provinziellen Piefigkeit« bezichtigt worden waren, führte sich das wichtigste Gremium der Stadt selbst ad absurdum und entschloß sich zu einer Wiederholung der Abstimmung. Hätte ja sein können, daß einer beim ersten Mal nicht wußte, was er tat.
Indes: Das Ergebnis blieb das gleiche. Der Bebauungsplan fiel wieder durch.
Da raunte es erneut und noch viel mächtiger im Blätterwald, und siehe: Plötzlich erinnerten sich all jene, die bis dahin getönt hatten, daß die repräsentative Demokratie mit ihren Parlamenten das Höchste sei und unter keinen Umständen durch plebiszitäre Demokratieelemente wie etwa Volksabstimmungen unterlaufen werden dürfe, daß es doch das Instrument der Bürgerbefragung gab. »Gebt die Entscheidung dem eigentlichen Souverän, dem Volk, zurück«, rief es aus bis dahin völlig ungewohnten Ecken, und bald schon war ein Fragebogen erstellt und in die Potsdamer Haushalte gesandt. Und nun seht her, was die Demokratie mit sich machen läßt.
Nicht die einfache Frage »Landtag auf Grundriß und Kubatur des Schlosses – ja oder nein?« wurde gestellt, sondern zwischen vier Möglichkeiten durften die Bürgerinnen und Bürger wählen: 1. Landtag auf dem Stadtschloßgrundriß; 2. Landtag an der Alten Fahrt; 3. Landtag in der Speicherstadt; 4. Landtag an keinem der drei vorgeschlagenen Orte. Beigefügt war den Fragen ein – ja, es ist die reine Wahrheit! – raffiniert gefälschtes Luftbild. Man hatte nämlich nicht nur den Stadtschloßgrundriß in dieses Bild hinein montiert, sondern auch den Straßenverlauf verändert – mit dem Ergebnis, daß dem Betrachter verborgen blieb, daß der Grundriß weit in die jetzige Straßen- und Straßenbahnführung hineinragt und also erhebliche – und teure! – Verlegungen der Verkehrswege notwendig sein würden. Die Standorte 2 und 3, die im übrigen keine Veränderungen von Verkehrsführungen nach sich ziehen, waren mit Kreuzen markiert.
Und als die Fragen angekommen waren auf den Wohnzimmer- und Küchentischen, da traten wieder die Redakteure und die »Prominenten« in Aktion. Die »Prominenten« schalteten mit viel Geld große Anzeigenserien, und die Redakteure brachten wunderbare Bilder vom künftigen Schloß-Landtag und – in beeindruckendem Kontrast dazu – Fotos vom kläglichen Ist-Zustand der anderen zur Wahl gestellten Standorte.
Und dann also dieses Ergebnis: 42,8 Prozent stimmten für das Landtags-Schloß; 12,8 Prozent für den Standort an der Alten Fahrt; 28,5 Prozent für den in der Speicherstadt; 14,7 Prozent für keinen der drei vorgeschlagenen Standorte; 1,2 Prozent ungültig. Das ist – man kann es drehen und wenden, wie man will – keine Mehrheit für das Landtags-Schloß. Es sind im Gegenteil 56 Prozent der Stimmen klar und eindeutig gegen diesen Bau.
Aber das schert den Oberbürgermeister nicht, und es schert nicht die »Prominenten« und nicht die Redakteure. Für sie alle ist die Abstimmung ein Sieg für sie selbst und für das Schloß.
Und weil das nicht reichte an Bubenstückchen, wollten die Landes- und Stadtspitzen der Linkspartei.PDS auch noch die ihrigen hinzufügen. Bubenstückchen Nummer 1: Der Vorschlag mit dem Standort Alte Fahrt war vom Stadtfraktionsvorsitzenden im Alleingang in den Fragebogen hineingebracht worden. Die Partei hatte das nie diskutiert – und natürlich wurde mit diesem Vorschlag die Front der Schloßablehner gespalten. Aber damit nicht genug: Genüßlich konnten die Zeitungen außerdem titeln, daß für den »PDS-Vorschlag« – den Vorschlag der 30-Prozent-Partei – nur ganze 12,8 Prozent gestimmt hatten. Bubenstückchen Nummer 2: Die Tinte auf dem Befragungsprotokoll war noch nicht trocken, da ließ die Vorsitzende der Landtagsfraktion schon verlauten, daß man wohl vom Anti-Schloß-Kurs abrücken müsse, und flugs folgten ihr die Stadtspitzen nach.
Vorbei, verraucht, vergessen das mutige Motto, mit dem die Partei 2003 bei den Kommunalwahlen angetreten und mit achtzehn Sitzen die stärkste Fraktion im Stadtparlament hatte bilden können. »Das Schloß kann warten«, hatte auf den Plakaten gestanden, und zu sehen gewesen waren Fotos von Kindern auf Schulhöfen, weil etliche Schulen dringendst saniert werden müssen und die Stadt Radwege braucht und bessere Kindergärten und vieles andere mehr. Vorbei, verraucht, vergessen all die Beschlüsse, die dieses Wahlprogramm immer wieder gestützt haben. Vorbei, verraucht, vergessen, daß es Wählerinnen und Wähler gibt, die – wie eine Fülle von Leserbriefen seit der Bürgerbefragung beweist – dieses Versprechen ernstgenommen haben. Ernstgenommen, weil sie in einer Stadt für die Bürgerinnen und Bürger leben wollen und nicht in einem Museum, das zu seinen vielen Schlössern nun noch ein weiteres hinzufügen zu müssen glaubt.
Diese Bubenstücke sind nicht zum Lachen. Die Linkspartei.PDS macht sich auf diese Weise mitschuldig an der schleichenden Aushöhlung der Demokratie, macht sich mitschuldig am Ansehensverlust der demokratisch gewählten Institutionen und damit auch mitschuldig daran, daß rechtsextremistische Parolen und deren Verkünder an Boden gewinnen. Aber vielleicht, ganz vielleicht wacht sie ja vorher noch auf? Und merkt, daß Schlösser zu Monarchen gehören – und Demokratie eine ganze andere Behausung braucht?
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