von Kai Agthe
Herausgeber von Enzyklopädien, das lehrt die Geschichte der Lexika, waren oft skurrile Gestalten. Nicht ihrem Wesen, wohl aber dem Anspruch nach. Noch im 19. Jahrhundert war man überzeugt, daß sich das gesamte menschliche Wissen in einem Nachschlagewerk bündeln ließe. Einer der letzten großen – und natürlich gescheiterten – Versuche dieser Art war die in Halle bearbeitete und in Leipzig erschienene Enzyklopädie der Wissenschaften und Künste von Samuel Ersch und Johann Gottfried Gruber, die nach achtzig Jahren, Jahrzehnte nach dem Tod der Gründungsherausgeber und mehr als hundert Bänden, still und leise eingestellt wurde. Hätte man bis zum »Z« kommen wollen, wären 250 Einzelbände notwendig gewesen.
Daß die Encyclopaedia Britannica (EB) das älteste, noch immer erscheinende Lexikon der Welt ist, liegt vor allem an ihrer klugen Anlage. Ersch und Gruber etwa konnten nicht umhin, den Begriff Griechenland auf gut tausend Seiten erklären zu lassen, was allein fast zwei Bände ihrer Enzyklopädie verschlang. Die »EB« geht seit 1768 viel effizienter vor und wird in einem für Nachschlagewerke erstaunlich kurzem Zeitpunkt aktualisiert – natürlich auch im Internet.
Der New Yorker Journalist A. J. Jacobs kam eines Tages auf die (fixe) Idee, die gesamte EB, »das Tiffany unter den Enzyklopädien«, vollständig lesen zu wollen, um den fortschreitenden Prozeß seiner geistigen Verarmung mit Fakten aufzuhalten. Gesagt, getan: Fünfzehn Monate für zweiundreißig Bände, 33000 Seiten, 65000 Artikel, 24000 Abbildungen und gut 44 Millionen Wörter.
Solch eine Lektüre bleibt nicht folgenlos: Denn Wissen will sich mitteilen. Also schrieb A. J. Jacobs ein Buch über seine Erlebnisse beim Studieren der EB: Britannica & Ich ist eine Sammlung von ausgewählten Stichworten aus der Enzyklopädie, die Jacobs kommentiert. Das ehrgeizige Unterfangen sorgte dafür, daß er mit seinem Wissen auch brillieren wollte. So nötigte er bei jeder sich bietenden Gelegenheit seinen Freunden und Kollegen die frisch gelesenen Fakten auf – ob die das hören wollten oder nicht. Enttäuschung stellte sich ein, als er feststellen mußte, daß seine Hoffnung, bei »Wer wird Millionär?« Vorteile zu haben, trog. Faktenwissen allein genügt nicht, um ein Superhirn zu werden. »Schließlich besteht«, so die Erkenntnis, »zwischen Lesedauer und Intelligenz keine direkte Korrelation.«
Der Autor benennt auch die »zehn zuverlässigsten Methoden, in die Encyclopaedia Britannica zu kommen«. Der schnellste Weg, Eingang ist das Werk zu finden, lautet, eingedenk Jacobs’ Lektüre: »Lassen Sie sich enthaupten.« Das wäre der Preis enzyklopädischer Unsterblichkeit!
Anmerkungen (etwa als Fußnoten) wären seitens des Übersetzers an jenen Stellen hilfreich gewesen, wo Persönlichkeiten der US-amerikanischen Öffentlichkeit erwähnt werden, die Leser hierzulande nicht kennen. Oder weiß man, wer Marilu Henner und Melissa Rivers sind? Das Buch wurde edel wie die Encycoplaedia Britannica gestaltet: Schwarzer Einband, rotes Lesebändchen und Goldschnitt. Auf den – mit Verlaub – dümmlichen Untertitel (Von einem der auszog, der klügste Mensch der Welt zu werden) hätte der Verlag gut verzichten können.
A. J. Jacobs: Britannica & Ich. Aus dem Amerikanischen von Thomas Mohr. List Verlag Berlin 2006, 427 Seiten, 19,95 Euro
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