Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 16. Oktober 2006, Heft 21

Das schöne Manöver

von Renate Hoffmann

Vor zweihundert Jahren hat eine große Schlacht stattgefunden, die in allen Geschichtsbüchern steht. Napoleon Bonaparte schrieb über sie einen Tag danach, am 15. Oktober 1806, an Josephine: »Meine Freundin, ich habe schöne Manöver gegen Preußen ausgeführt. Ich habe gestern einen großen Sieg erfochten. Sie waren 150 000 Mann stark, ich habe 20000 Gefangene gemacht … Ich biwakiere seit 2 Tagen und befinde mich vortrefflich.«
Ergänzend zum großen Sieg die Verluste: In der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt werden nach Schätzungen 37500 Tote, Verwundete und Vermißte angenommen. Als Sekundärverluste sind anzusehen: die Notstände, in denen sich besonders Jena und Weimar befanden – bedingt durch Plünderungen, Brände und Versorgungsschwierigkeiten; nicht zu reden vom Zustand der Dörfer und Fluren, die im Weichbild der Kriegshandlungen lagen.
Die »schönen Manöver« begannen in der Frühe um sechs Uhr. Napoleon eröffnete und leitete sie bei Jena persönlich. Bei Auerstedt übernahm es Marschall Louis Nicolas Davout, Mitschüler Napoleons auf der Militärschule in Brienne. Wenn die kriegerische Leistung zu werten ist, so war der Sieg Davouts gewichtiger als der Bonapartes. Davout führte geringe Kräfte gegen eine preußische Übermacht. Er wurde später Herzog von Auerstedt.
Die Auseinandersetzungen zogen sich über den ganzen Tag hin. Sieg und Niederlage waren aber bereits gegen Mittag entschieden. In diesen Kämpfen gab es Zufälle, Fehleinschätzungen vom Stand der Fronten und der Truppenstärken; Vor- und Nachteile unterschiedlicher Kriegstaktiken. Es gab auch einfach den Herbstnebel, der am Morgen die Sicht behinderte. Und es gab hinterher kluge Reden. Sie machten die Toten nicht wieder lebendig. Carl von Clausewitz analysierte viele Jahre später das blutige Treffen: »Hätte der König die Lage seines Gegners gekannt, wie wir sie jetzt kennen, … dann hätte es mit einem Wunder zugehen müssen, wenn er nicht auf diesem Punkt (Hassenhausen bei Auerstedt, d. A.) einen glänzenden Sieg erfochten hätte.«
Die beiden von den Kampfhandlungen tangierten Städte standen sich in ihren Nöten nichts nach. Durch Jena zogen die Preußen zweimal – und die Franzosen auch. Weimar büßte dafür, daß Herzog Carl August zu Preußens Verbündeten gehörte.
Johanna Schopenhauer war eben erst in diese Stadt gezogen. Sie hatte Weimar gewählt wegen der ihr genehmen geistigen Atmosphäre. Nun geriet sie in eine ganz andere. Am 6. Oktober 1806 klang es noch zuversichtlich: »Ich bin hier mitten im Kriege, aber guten Mutes.« Am 19. Oktober jedoch: »Guter Gott! Hätte ich gewußt, was uns bevorstand, zu Fuße wäre ich fortgelaufen« und: »Von diesen Greueln des Krieges hat man nur einen Begriff, wenn man sie wie ich in der Nähe sieht.«
Wer die Schrecken ebenfalls aus der Nähe beobachtete, war die Malerin Louise Seidler. Sie wohnte mit ihren Eltern im Jenaer Schloß, einem Brennpunkt von Zusammenkünften und Entscheidungen. Napoleon nahm hier Quartier. Sie sah ihn am Fenster stehen, diktieren, nachdenken. Sie erlebte seinen diplomatischen Schachzug, die sächsischen Gefangenen auf Eid nach Hause zu entlassen – um desto besser mit Sachsen ins Gespräch zu kommen; während die preußischen Gefangenen nach Frankreich mußten. Die sächsischen Offiziere gaben übrigens nicht eher ihr Ehrenwort, als bis der Wortlaut der Bestimmung: »… de ne jamais servir contre la France« abgeändert war in »… de ne plus servir dans cette guerre.«
Nach Napoleons Weggang am 15. Oktober brachte man einen Teil der Verletzten ins Schloß. Jena hatte bei einer Einwohnerzahl von etwa 5000 Bürgern 4000 bis 6000 Verwundete zu betreuen. Für Louise Seidler bleibt es eine makabre Erinnerung. »Noch viele Tage nach der Schlacht wurden Schwerverwundete in grauenhaftem Zustande hereingebracht, welche mit Tau und Gras ihr Leben jammervoll gefristet hatten.« Ihre Klage ist europäisch: »Ich litt mit den Franzosen, deren blühendste Söhne fort und fort zur Schlachtbank geführt wurden; ich litt nicht minder schwer mit meinen geknechteten Landsleuten.«
Waren die menschlichen Regungen zumeist aufs »Davonkommen« reduziert, so blieb gottseidank der Humor, besonders der unfreiwillige, erhalten. Das Anwesen des Buchhändlers Karl Friedrich Ernst Fromman in Jena glich einem Wirtshaus. Mit Einquartierungen und Flüchtigen zusammen hielten sich dort 130 Menschen auf. Am Dienstagabend nach der Schlacht marschierten nochmals 30 bis 40 Mann französischer Garde in den Hof. Die Hausfrau sah sich außerstande … Da half General Oudinot, der bei Frommans untergebracht war. Er kommandierte die Elite-Truppenteile zweimal »Rechts schwenkt!«. Und sie schwenkten befehlsgetreu um ihn herum – und rechts wieder hinaus. Auch an der nötigen Gelassenheit fehlte es nicht. Bergrat Einsiedels Haushaltung räumten die Franzosen gründlich aus. Einsiedel trug den Totalverlust mit bewundernswerter Fassung. »Ich hab doch persönlich nichts gelitten … u. ob ich drey Hemden oder 30 Hemden habe, wie ich vorher hatte, so ist das ja auch weiter nichts als das ich öfter muß waschen lassen.«
Ein Ereignis vollzog sich in diesen Tagen weltpolitischer Umwälzungen und war auf seine Art ebenfalls von Weltgeltung. Georg Wilhelm Friedrich Hegel schrieb in seiner Jenaer Wohnung die letzten Seiten der Phänomenologie des Geistes. Der Verleger hatte die Zahlung des für Hegel so notwendigen Honorars von der vollständigen Lieferung des Manuskriptes bis zum 18. Oktober abhängig gemacht. Hegel äußerte später gegen Schelling: »Die größere Uniform der letzten Parthieen halte … dem zu Gute, daß ich die Redaction überhaupt erst in der Mitternacht vor der Schlacht bey Jena geendigt habe.« Am Morgen des 14. Oktober drangen auch bei ihm die Plünderer ein und brachten seine Schriften »wie Lotterieloose in Unordnung«. Er floh zu Frommans. Die wichtigen Manuskriptseiten sandte er am 20. Oktober ab. Man fragt sich nur, wie sie in den Wirren dieser Tage ankommen konnten.
Schlachten werfen, wie jedes große Ereignis, ihre Schatten voraus; aber auch hinterher. Die erste Pflicht bestand darin, die Toten zu begraben. Trauer, Schmerz und das Gefühl der Ausweglosigkeit ließen sich jedoch so schnell nicht beseitigen. Die schlimme Zeit blieb lange im Gedächtnis der Gegend.
Und sie wird aus gegebenem Anlaß wieder erinnert. Auf dem Wissen um die Vergangenheit begründen sich Gegenwart und Zukunft. Die mitteldeutsche Region richtet unter dem versöhnenden Titel »rendez-vous« ein »Deutsch-Französisches Jahr« aus, mit einer Vielzahl thematischer Angebote. Ausstellungen, Vorträge, Veranstaltungen; Führungen an den Orten des damaligen Geschehens. Im Oktober soll das kriegerische Getümmel 1806 von militärhistorischen Vereinen Europas nachgestellt werden. Doch das Wichtigste bleibt die menschliche Begegnung der Länder. Das friedliche Manöver ist bereits voll im Gange.