von Hannah Lotte Lund
Über den Dächern Berlins steht eine Maschine, die den Stand des emanzipatorischen Ungeistes unserer Regierung anno 2006 nachhaltig symbolisiert: Eine Ideologie, vor zweihundert Jahren von führenden Denkern entwickelt, wird als Ergebnis neuester wissenschaftlicher Erkenntnis verkauft und mit einer Infrastruktur aus dem vorelektrischen Zeitalter beworben. Dies hochmetaphorische Gerät ist die Milchpumpe – die ultimative Maschine, die zum Beispiel im 15. Stock der Berliner Charité sicherstellt, daß Deutschlands unwillige Stillende wieder zu willigen werden.
Einmal im postpartalen Dämmerzustand ungefragt hier angeschlossen, kommt man – pardon: frau-frau-frau – fluchend immer wieder, um dankbar loszuwerden, was man, das heißt frau-frau-frau, im Zustand des wachen Ichs gar nicht so produzieren wollte: Mamamilch.
An die männlichen Leser: Das ist Ihnen jetzt vielleicht ein bißchen zu authentisch; aber waren, was wir in letzter Zeit am größten Spielfeldrand der Nation erleben durften, nicht ganz ähnliche Geräusche? Das rhythmische Keuchen während der WM vereinte Deutschlands Männer und Frauen zu einer Gemeinde des pumping patriotism. Was war aber nach der WM? Als sich die Jahrhunderthitze verdampft hatte, wurden die Sommerlöcher des WM-Blues unweigerlich durch die Wiederaufnahme des unsäglichen angeblichen Babyblues gestopft, der in den Wochen zuvor von allen Medien ergebnislos durchgekaut worden war. Um diese sinnentleerte Suche nach Motivationsmitteln für maulende Mütter abzukürzen, möchte dieser Artikel darauf hinweisen, daß zwei der stärksten Waffen der Müttermobilmachung schon vor zweihundert Jahren erfunden wurden und immer noch einsatzfähig sind: die Stillideologie und – die Milchpumpe.
Ideologie 2000: Die erste und zugleich größte Unverschämtheit stand in der Überschrift vieler Artikel: Was ist mit den deutschen Müttern? Die notwendige Gegenfrage ist doch: Ist den pubertierenden Redakteuren die biologische Tatsache unbekannt, daß es zur Erzeugung eines Kindes – noch – eines Vater bedarf? Umfängliche Studien belegen mittlerweile, daß die Zahl der männlichen Akademiker ohne Kinder weitaus größer ist als die der Akademikerinnen. Welche Wählergruppe also müßte wirklich zur Familiengründung motiviert werden??
Die zweite, vielleicht doch größere Frechheit ist, den Frauen ein Grundbedürfnis der Brust zu- und eins des Hirns abzusprechen: davon auszugehen, daß eine Frau mit – natürlich angeborenem – Kinderwunsch alle Hindernisse inklusive Karriereknick, Frust und Samenstau des gedachten Partners lieber gedankenlos überrennt, statt sich zu überlegen, wie ihr Leben zu zweit oder dritt verantwortungsvoll zu gestalten wäre.
Diese Ausblendungen seitens unserer selbsternannten Analysten aus Medien und Politik werden auch dann nicht charmanter, wenn man weiß, daß sie auf jahrhundertealten Ideologien aufbauen, an deren Konstruktion wirkliche Denker wie Schiller und Humboldt oder Philosophen wie Rousseau mitgebaut haben.
Ideologie 1800: Als die französische Revolution die gesellschaftlichen Verhältnisse auf den Kopf stellte, wurde die erste Frau, die an die Menschen- und Bürgerrechte die weibliche Form anhängte, geköpft. Auf die Dauer mußte man, pardon: mann-mann-mann, sich aber andere Remedia furoris einfallen lassen und entwickelte die Theorie der Geschlechtscharaktere, nach der das »Wesen« und die Aufgabe eines Menschen in seinem Geschlecht natürlich begründet sei. Damit war auch der Platz der Gesellschaft genetisch vorgegeben.
Es ist an den Briefen der Herren untereinander ablesbar, wie an der Herstellung des Zusammenhangs zwischen Frauenkörper und Häuslichkeit gebastelt und die besten Formulierungen für den Geschlechtscharakter gefeiert wurden. Schillers »und drinnen waltet die züchtige Hausfrau« war, was man heute kaum noch weiß, hohe Politik. Die Überlegung: »Frauen haben schwächere Muskeln, schwächere Nerven, sie sind daher nicht zum Herrschen gemacht«, ist nicht biblisch, sondern nur 210 Jahre alt! Symbol schlechthin des weiblichen Aufgabenbereiches wurde, wen wunderts, die Brust: die weiblichen Produktionskräfte richten sich einzig aufs Kind, die Zartheit derselben mußte geschützt werden.
Das Paradox, wie dieser zarte Frauenkörper Geburt oder Krankenpflege überstehen sollte, wurde und wird bis heute konsequent ausgeblendet. In wenigen historischen Ausnahmemomenten, bei Frauen in den Regierungen, wurde es – mit einer unfreiwilligen Verneigung vor Merkel, Rice und Co. – umgedreht: Frauen mußten dann eben beides können: Politik und Kinder machen. Genauer: sich das eine durch das andere verdienen.
Damit das nicht zu oft geschah, war die Rousseausche Pumpe da. Die Stillideologie als Geheimwaffe des Establishments? Nichts anderes ist sie. Was im Frankreich des 18. Jahrhunderts als revolutionär Neues begann – als für alle Schichten das Stillen als positiv, nicht mehr als proletarisch abstoßend proklamiert wurde –, zieht sich in auffallenden Wellenbewegungen durch die Geschichte. Stillen wurde immer dann als besonders natürlich empfohlen, wenn der Bedarf an Müttern stieg oder der an weiblichen Arbeitskräften sank. Selbst die NS-Spezis warben für Flaschennahrung, als Munitionsfacharbeiterinnen gebraucht wurden. Das berühmte Postkartenmotiv des hübschen PinUps mit Kopftuch und Arbeiterfaust (als You can do it in jedem Scherzartikelladen erhältlich) ist Nachkriegsreklame aus der Zeit des Männermangels.
Gerade jetzt also ruft der Arbeitsmarkt die Frauen wieder an den Herd – beziehungsweise die Pumpe. Und wie zu Schillers Zeiten versucht es die Politik mit Poesie statt mit Argumenten: Wieviel hübscher als Wir haben keine Jobs für Euch klingt doch das Stillen ist das Beste für Ihr Kind.
Auch das Vakuum besagter Pumpe, dessen Theorie übrigens fast exakt ebenso alt ist wie Rousseaus Texte, spricht rhythmisch zu den anzulernenden Müttern. Nur, zischt es: mehr-Milch, mehr-Milch, aufmunternd: du-schaffst-es!, du-schaffst-es! oder ein wozu? wozu?
Wenn die Mutter dazu aktuelle Zeitungsbeiträge liest, die das Mütterdasein abwechselnd als staatstragend oder, mit unfreiwillger Ironie, als »erfüllend« bezeichnen, fragt frau sich auch, ob die heutigen Prediger überhaupt wissen, wie alt ihre Argumente sind, auf welche Vordenker sie sich beziehen? Den Prozentsatz der Politiker, die ihre Klassiker kennen, möchten wir gar nicht ermitteln müssen. Wendet sich der Blick der jungen Mutter aber von der Brut ab in die Zukunft, entschleiert er sich sekündlich: mangelnde Kitastellen, Abbau der vorhandenen Infrastruktur, Rückbau des gepflegten Patriarchats – und sie erkennt: Hinter der Pumpe und der neuen Stillideologie steht das Gleiche: ein erprobtes Vakuum.
Liebe Chefideologen von heute, bildet Euch nur ja nichts ein. Wer heute ein Kind bekommt, tut es nicht wegen, sondern fast immer trotz der herrschenden Verhältnisse.
Die Mutter von Berlin tobt – und pumpt.
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