Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 7. August 2006, Heft 16

Tübke & Handke

von Henryk Goldberg

Es waren zwei Fehler. Und hätten sie es bei dem ersten bewenden lassen, dann wäre er unbemerkt geblieben. Wie man so sagt: Das Gegenteil eines Fehlers ist ein Fehler. Der erste Fehler war, das Bild aufzuhängen. Der zweite war, es wieder abzunehmen.
Mit ein wenig Sensibilität könnte man auf eine Radierung, deren Titel vom faschistischen Terror im Ungarn des Jahres 1956 spricht, gut verzichten, wenn der Ausstellungsraum der Thüringer Landtag ist. Das ist ein sensibler Ort, ein Ort der aufgeladenen Symbolik, da ist das Unbehagen an solch einem Titel begreiflich. Unsensibler aber als es aufzuhängen, war dann die konspirative Rücknahme. Denn dies war ein gänzlich anderer Vorgang, als es die Nichthängung gewesen wäre. Hier manifestierte sich ein politisches Eingreifen in künstlerische Belange, ein Eingreifen zudem durch zwei Institutionen, die streng auf ihre Integrität zu achten haben, das Parlament und die Behörde für die Stasi-Unterlagen.
Deren Chefin, Hildigund Neubert, ist wohl eine, der die gesamte Tübke-Richtung nicht paßt, und die hier ihre Chance sah. Und Dagmar Schipanski, die Parlamentspräsidentin, die die Abhängung verfügte, hat ihre Chance übersehen: die, sich in einem bundesweit wahrgenommenen Vorgang, als Demokratin liberaler Denkungsart zu profilieren.
Werner Tübke ist zweifelsohne einer der bedeutenden deutschen Maler der Gegenwart, und vermutlich wird er es lange bleiben. Diese Grundtatsache wird nicht von der Frage berührt, ob Tübke mit seinem Titel nur auf die einzelne Gewalttat zielte oder den ganzen Aufstand meinte, ob dies Haltung war oder Opportunismus. Eine Frage übrigens, die sich auch bei politischen Entscheidungen aufrechter Demokraten nicht immer von selbst beantwortet.
Die persönlichen Haltungen der Damen Schipanski und Neubert mögen von eingeschränkter Beträchtlichkeit sein, beträchtlicher ist die Frage, wie man mit Geschichte umgeht; wie mit dem Umstand, daß Geschichte nicht korrigierbar ist, was doch, auf diese oder jene Weise, immer mal wieder versucht wird; immer mal wieder beansprucht jemand die exklusive Interpretationshoheit.
Als 1999 in Weimar Aufstieg und Fall der Moderne thematisiert wurde, was ich noch immer als eine der besten, weil streitbarsten Thüringer Ausstellungen erinnere, da lautete eine verbreitete Forderung nicht etwa, nur ein oder zwei Bilder abzuhängen: Sie wollten die ganze Ausstellung schließen. Denn da, so hieß es, da würde die DDR-Kunst als Ganzes delegitimiert. Gewiß, im Ausstellungskonzept war viel Dummheit und Anarchie, aber vielleicht machte gerade das den Charme aus, und was gut war, setzte sich durch gegen den Kurator.
Hier jedenfalls sah die kujonierte Ost-Seele ihre Chance und schlug zurück. Es sind zum Teil die gleichen Menschen, die damals im Namen der Gerechtigkeit eine ganze Ausstellung schließen wollten und nun, da ein (1) Bild abgehangen wurde, empört Zensur! rufen. Was zeigt uns das?
Es gibt, auf beiden Seiten der Barrikade, kaum Haltungen zur Kunst, es gibt nur Haltungen zu ihrer Zweckmäßigkeit. Die Autonomie der Kunst wird gebrochen von der Dominanz der Ideologie, diese unternimmt es noch immer, jene in Dienst zu stellen. Politische Korrektheit ist allemal wichtiger als künstlerische Freiheit. Dieses Prinzip hat erst die Handke-Debatte in Düsseldorf stimuliert und nun die Tübke-Debatte in Erfurt. Und wie sie bei Handke Intellektuelle zwang, objektiv etwas zu verteidigen, Handkes Haltung zu Serbien, das sie eigentlich nicht verteidigen wollen, so zwang sie nun Intellektuelle wiederum etwas zu verteidigen, Tübkes frühe Haltung zu Ungarn ‘56, was sie eigentlich nicht verteidigen wollen.
So dumm ist Ideologie. So unbelehrbar sind Menschen.