von Jörn Schütrumpf
Schwerin liegt nie auf dem Weg. Die großen Autostraßen nach Szczecin und Berlin streifen kaum das Weichbild; die Bahn stellte die Stadt hinter dem großen See zwischendurch ganz vom überregionalen Verkehr frei. Auch ansonsten machte um keine deutsche Landeshauptstadt die Moderne einen größeren Bogen, auch blieb keine mehr von alliierten Bomben verschont, keine liegt so malerisch, keine ist so schön – falls man Residenzen mag.
Das Werbegewerbe müht sich, Schwerin als »Residenzstadt« unter die Leute zu bringen, wobei bisher unklar war, wer dort residiert. Die rot-rote Regierung wohl kaum; die wird im Sanierungsfall, den die D-Mark aus Mecklenburg-Vorpommern hat werden lassen, bestenfalls geduldet und am 17. September mangels Alternativen wohl trotzdem wiedergewählt werden. Jetzt aber ist es nun doch geklärt: Der Resident heißt Arno Breker. Seine Bleibe ist zwar noch unangemessen bescheiden: das Schleswig-Holstein-Haus, ein sympathisches Geschenk des auch nicht gerade auf Rosen gebetteten Nachbarlandes im Westen aus der Zeit, als dort die SPD den Verschleiß von Parteivorsitzenden zum neuen Inhalt sozialdemokratischer Parteiarbeit erkor.
Die durch alle Feuilletons gehechelte Schweriner Arno-Breker-Ausstellung paßt sich brav ins »Normalisierungsprojekt« ein, mit dem seit der Wende Deutschlands Eliten den Nationalsozialismus »enttabuisieren«; die Reaktion in der Pose der Aufklärung. Dabei sind es nicht die ganz großen Durchbrüche, die Dauer zeitigen, sondern die kleinen, oftmals beinahe unmerklichen. Die »Landeshauptstadt Schwerin«, Auftraggeber und Ausrichter in einem, hat – natürlich in aller Unschuld – auf diesem Weg nun einen sehr großen kleinen und damit bleibenden Schritt getan, allein indem sie eine Tür öffnete. In dieser Grauzone versteht man sich am besten ohne Worte.
Schon nach den ersten Stunden war im Besucherbuch der Erfolg meßbar: Die Ausstellung beende endlich die Vorherrschaft einer barbarischen Minderheit – daneben Dankbezeugungen an die Stadt, wie sie sie in ihrer Geschichte nur selten erfahren hat. Endlich darf man sich als Deutscher wieder öffentlich zu Breker bekennen, wenn auch vorerst nur in einem Schweriner Besucherbuch.
Die Gebrauchsanweisung, die der Kulturdezernent der Ausstellung beigegeben hat, ist ein apartes Stück Prosa. Die Zustimmung des zuständigen Stadtvertretungsausschusses habe er erhalten nur unter der »Bedingung …, wie von uns ohnehin vorgesehen, sich auch kritisch mit der Person Arno Breker und seinem Werk und Wirken auseinander zu setzen«. Dieses »auch« erzählt die wirkliche Geschichte. Und um das letzte Mißverständnis bei denen, die es an dieser Stelle vielleicht immer noch nicht fassen können, auszuräumen, erwähnt Schwerins Kulturdezernent dann noch die von »Teilen einer interessierten Öffentlichkeit« befürchtete »Gefahr, dass eine Breker-Ausstellung zu einseitig Brekers Werk bejubelt«. Welchen Hintergrund muß einer haben, um die Wortkette »zu einseitig bejubelt« zu schmieden, selbst wenn er nicht beabsichtigt, Brekers Werk nicht »zu einseitig« zu bejubeln. Sprache ist wirklich mehr als Blut. Wie das Radebrech so die Gesinnung.
Natürlich gehört Breker gezeigt – neben den Lampenschirmen, die zeitgleich in deutschen KZ gefertigt wurden aus Menschhaut, vornehmlich Judenhaut. Kunst zu Kunst, der Herrenmensch neben den Untermenschen. Denn kein Herrenmensch ohne Untermensch. Das vertrüge sich allerdings schlecht mit dem »enttabuisierenden Normalisierungsprojekt«. Denn normalisiert und enttabuisiert ist die Geschichte erst dann, wenn alle Kontexte im milden Licht des Halbdunkels jegliche Kontur verloren haben und jedes einzeln gestellte Wesen mit uns noch einmal den Zeitstrahl abschreitet – in Schwerin klassisch verwirklicht: das aufblühende Genie Breker, den Kopf eines wunderschönen Roma-Jünglings modellierend; der irregeleitete Breker, der aber selbst noch am Fuße der menschenfeindlichsten Steinfleischberge einen göttlichen Gerhard-Hauptmann-Kopf schuf und Freund Cocteau samt Picasso vorm KZ bewahrte; der verfemte, nur der Kunst lebende Breker, ganz zurückgezogen in Düsseldorf. Das eine Jahrzehnt vor den Nazis und die viereinhalb Jahrzehnte danach – seht, welches Genie! Da werden doch endlich die Proportionen wieder zurechtgerückt. Das ist (die) Methode. Denn natürlich geht es um das Jahrzehnt dazwischen. Niemand würde heute auf die Idee kommen, Arno Breker eine Personalausstellung zu widmen, wären da nicht Hitlers Lieblingsgötzen.
Hätte es bei diesem Mann – wie bei seinem Konkurrenten Josef Thorak – nicht zu mehr als zum Verwecheln von Großsein mit Größe gereicht, könnte man achselzuckend weitergehen; primitive Nazis halt. Aber dieser Mann war ein großer Künstler und sein Nazi-Engagement keineswegs eine »notwendige Entwicklungsetappe« in seiner künstlerischen Laufbahn. Was die Schweriner Ausstellung unfreiwillig demjenigen offenlegt, der nicht dem Konzept der Breker nicht zu einseitig Bejubelnden auf den Leim geht, sondern sieht, was hier verschleiert wird, ist: Der Mann war eine Hure, er hat für Geld – pro Jahr eine Million RM – leblose Gigantomanie statt Kunst produziert und damit die Kunst, aber auch sich selbst verraten. An Leute, die mit seinen Götzen in der Öffentlichkeit ihren Herrenmenschenanspruch und damit ihr Recht auf Ausrottung anderer untermauerten. Übrigens: Genau deshalb ist die Reichskanzlei mit Brekers Figuren auch nicht mit der Stalinallee gleichsetzbar. Mit ihr wurde kein Herrenmenschen- und somit Ausrottungstum legitimiert.
Das im Besucherbuch aufjuchzende deutsche Scheinbürgertum – es hatte das deutsche Bildungsbürgertum, das zumeist jüdisch war, willig den Nazis zur Abschlachtung überlassen – erkennt in Breker sich und die eigene Prostitution wieder. Brekers »Enttabuisierung« öffnet dem deutschen Scheinbürger die Tür zur Enttabuisierung seiner eigenen Nazivergangenheit. Endlich kann die Kollaboration mit dem Führer normalisiert werden. Die Stadt Schwerin wird noch viele Danksagungen erhalten.
Zumal wenn sich in der Stadtvertretung jene durchsetzen, die Deutschlands letztes Lenindenkmal schleifen wollen – 1985 im Neubaugebiet am Großen Dreesch aufgestellt: ein völlig unheroischer, an seinem Werk (ver-)zweifelnder Mann, Kragen hochgeschlagen, Hände in den Hosentaschen. Die Breker-Ausstellung kommt da gerade zur passenden Zeit.
Schwerin liegt nie auf dem Weg. Künftig nun vielleicht doch – auf dem rechten.
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