von Frank Ufen
Im Jahre 1973 verwandelte sich die vierzigjährige Südafrikanerin Rita Hoefling plötzlich von einer weißhäutigen in eine dunkelhäutige Frau. Zuvor war bei ihr das Cushing-Syndrom diagnostiziert worden, eine Störung, die durch eine langanhaltende und übermäßige Bildung des Hormons Cortisol hervorgerufen wird.
Die Nebennieren wurden daraufhin entfernt, und zunächst schien alles darauf hinzudeuten, daß es keine Nebenwirkungen geben würde – bis Rita Hoefling bemerkte, daß ihre Haut dunkler und dunkler wurde. Die Ursache hierfür war das Nelson-Syndrom, das häufig bei Patienten auftritt, denen die Nebennieren entfernt worden sind.
Rita Hoefling wurde wegen ihrer Hautfarbe schikaniert und gedemütigt und vom Apartheidsstaat wie eine Aussätzige behandelt. Als sie auch von ihrer eigenen Familie verstoßen wurde, entschloß sie sich notgedrungen dazu, in ein Viertel umzuziehen, das von Schwarzen dominiert war. Dort lebte sie sich schnell ein, fand Unterstützung und Anerkennung, und schließlich lernte sie sogar, fließend Xhosa zu sprechen. Doch im Jahre 1978 begann ihre Haut von einem Tag auf den anderen wieder hell zu werden. Rita Hoefling versuchte nun, ihr altes Leben wieder aufzunehmen, doch ihr Mann und ihre Kinder wollten nichts mehr von ihr wissen. Sie starb 1988 im Alter von nur 55 Jahren an einer Lungenentzündung.
Man schätzt, daß die DNA jedes neugeborenen Kindes durchschnittlich allein hundert Mutationen aufweist, die kein Erbteil der Eltern sind. Von diesen hundert Mutationen haben etwa drei schädliche Auswirkungen auf die Gene. Hinzu kommen jene unzähligen Mutationen, die sich von Generation zu Generation vererben. Also, schlußfolgert der neuseeländische Evolutionsbiologe und Genetiker Armand Leroi, sind alle Menschen Mutanten – die einen mehr, die anderen weniger.
Gestützt auf diese Einsicht berichtet er in seinem Buch von Menschen, die mit schweren, häufig genetisch bedingten körperlichen Mißbildungen und Fehlfunktionen auf die Welt gekommen sind. Er schreibt über Zwitter, siamesische Zwillinge, Zwerg- und Riesenwüchsige und Albinos, aber auch über Kinder, die sich damit abfinden müssen, daß sie am gesamten Körper üppig beharrt sind oder daß ihre Haut weder einheitlich hell noch dunkel, sondern schwarz und weiß gesprenkelt ist. Er schreibt über Männer und Frauen, die sich mit scherenartig geformten Händen oder überzähligen Fingern, Zehen, Ohrmuscheln und Brüsten durchs Leben schlagen müssen. Er erzählt von menschlichen und tierischen Föten, die nur über ein Auge verfügen, das mitten auf der Stirn sitzt – so daß sie ähnlich bizarr aussehen wie die Zyklopen in der Odyssee Homers. Und von Kindern, bei denen der Unterleib in einen sich verjüngenden Schlauch übergeht, der jeweils nur einen Oberschenkelknochen, ein Schien- und ein Wadenbein enthält. Diese Kinder leiden unter Sirenomelie, einer seltenen, auf genetischen Fehlsteuerungen beruhenden Krankheit, die einen Körper entstehen läßt, der dem einer Meerjungfrau gleicht.
Armand Leroi nutzt souverän den jüngsten Erkenntnisstand der Genetik und Medizin, um verständlich zu machen, welche Schäden Mutationen anrichten können. Und er ist ein überaus empfindsamer und einfühlsamer Erzähler. Ein großes Buch.
Armand Marie Leroi: Tanz der Gene. Von Zwittern, Zwergen und Zyklopen, Elsevier München, 447 Seiten, 30 Euro
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