Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 2. Mai 2006, Heft 9

Mon plaisir

von Renate Hoffmann

Mitteilung des Arnstädter Kupferschmiedemeisters J.G. Bachstein aus dem Jahre 1765: Im Lustschloß Augustenburg sei »auch ein Cabinet dagewesen, welches aus 14 mit Glasthüren verwahrten Schränken bestand worinne die vornehmsten Merkwürdigkeiten u. Auftritte des menschlichen Lebens, in kleinen und in migniatur vorgestellt werden. Dieses Cabinett war … in hiesigen Gegenden damalen unter den Namen des MON PLAISIR bekannt«.
Ich reise in die »hiesigen Gegenden«. Nach Arnstadt im Thüringischen. Das Lustschloß Augustenburg, einstens unweit des Ortes gelegen, verschwand Stein um Stein. Im Jahr von Bachsteins Anmerkung hatte man es auf Abbruch verkauft. Die barocke Puppenstadt Mon plaisir hingegen überdauerte die Zeiten. Nicht unbeschadet, nicht verlustlos; doch reichhaltig genug, um den staunenden Betrachter auch heutzutage lustvoll zu erbauen. Das Arnstädter Schloßmuseum im Neuen Palais beherbergt dieses kleine Wunderwerk der Kunst- und Kulturgeschichte.
Dem Inventarverzeichnis nach besteht es aus 391 Figürchen und etwa 2670 Gegenständen. In der Anschauung erfreut es als Spiegelung einer quirligen, bunten, skurrilen Residenzstadt en miniature aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Vom höfischen Treiben bis hin zur Bettlerin; vom Rattenfallenhändler bis zur audienzgebenden Fürstin. Die Schöne gängelt ein Äffchen an zierlicher Kette, und der Herr Rat hält vor ihr Rapport. Der fürstlichen Dame in goldschimmerndem Brokat sagt man Porträtähnlichkeit nach, die sie mit der Schöpferin der Puppensammlung habe: Auguste Dorothea von Schwarzburg-Arnstadt (1666–1751).
Aus dem kunstsinnigen Hause Braunschweig-Wolfenbüttel kommend, ehelicht sie den Grafen und späteren Fürsten Anton Günther II. (1653 bis  1716). Ein Mann, der es sich angelegen sein läßt, durch Förderung von Kunst und Wissenschaft seiner Arnstädter Residenz Glanz und Ansehen zu verleihen. Für Auguste Dorothea eine günstige Liaison. Ist sie doch passionierte Sammlerin und häuft Porzellane, Gemälde und kunsthandwerkliche Kostbarkeiten an. Wie es bei Passionierten öfter zu sein pflegt, verfügt die Fürstin auch über ein beachtliches Konto. An Schulden. Nicht unerheblich vermehrt durch eine Extraleidenschaft Augustes: Sie betreibt den Aufbau einer Stadt im Kleinformat. Puppen und Ausstattung hierfür läßt sie herstellen, erwirbt Neues hinzu, erhält die kleinen »Persönchen« als Geschenk; erweitert die Szenerie, verfeinert sie, baut um und baut aus. Letztlich entsteht jenes Abbild des städtischen Lebens, wie man es zu Zeiten der kunstliebenden Frau auch in Arnstadt hätte vorfinden können.
Von den damaligen Puppenhäusern – oft genug kostspielig in der Anschaffung – erwarte man nicht, sie stünden als Spielzeug im Kinderzimmer. Sie galten als wertvolle Rarität und bereicherten eher die Kunstkabinette als den Gabentisch der heranwachsenden Jugend. Mit ihrem Besitz konnte man sich brüsten. Auch benutzte man sie zuweilen als Lehrobjekt.
Zwischen den weißen Schrankvitrinen bewege ich mich wie inmitten des alten Reims: »Kaiser, König, Edelmann, Bürger, Bauer, Bettelmann; Schuster, Schneider, Leineweber und zuletzt der Totengräber.« Handwerker arbeiten in ihren Stuben, aufs beste mit den jeweiligen Gerätschaften ausgestattet. Der Barbier wird in Kürze einen älteren Herrn über den Löffel rasieren (was die Prozedur bei eingefallenen Wangen erleichtert). Beim Porträtmaler sitzt eine Dame Modell. Ihr Konterfei auf der Staffelei zeigt bereits entfernte Ähnlichkeit. Im Vorwerk pulsiert bäuerliches Leben. Den Landmann hat scheinbar ein Pferd getreten. Er steht nebenan in der Apotheke und wartet auf Herstellung einer kühlenden Mixtur.
Seine Schwellung wird abschwellen, denn die Ausstattung der Offizin entspricht dem höchsten Stand der Pharmazie. Im Angebot sind: »Pommeranzen-Rosolis, Melissen-Wasser, Sood-Pulver, Rosen-Zucker« und andere Spezialitäten. Duft, Dampf und dicke Luft brodeln in der luxuriösen Hofküche. Offenkundig wird ein Gelage vorgerichtet. Es dürfte sich hierbei um mindestens zehn Gänge handeln; Dessert exklusive. Man darf annehmen, daß die Speisenfolge zum »großen Unterhaltungs- und Tanzabend« aufgetragen wird, der soeben im Festsaal stattfindet. Interieur und Gesellschaft sind höchst vergnüglich anzuschauen. Inventar-Verzeichnis 1751: »… ein großer mit / rothen Stoff beschlagener / Saal mit einen Spiegel-Camin / Kronen Leuchtern und Spie, / gel=Wand Leuchtern, worin, / nen 2. paar Personen Menu- / et tantzen, 7. Persohnen aber / sich in discourse unterhalten«.
Wahrscheinlich sieht das Abendprogramm noch ein Kammerkonzert vor. Im »Musikzimmer« proben nämlich drei Musici und eine aparte Sängerin. Eingedenk ihrer Stadtberühmheit Johann Sebastian Bach, der von 1703 bis 1707 in Arnstadt die Orgel spielte, beabsichtigen sie, Hörproben aus seinen weltlichen Kantaten vorzutragen. »Geschwinde, geschwinde, ihr wirbelnden Winde«, zum Beispiel; oder auch »Schweiget stille, plaudert nicht« (die etwas verblaßten, aufgeschlagenen Partituren lassen keine genaue Aussage zu). Doch den gesanglichen Höhepunkt bildet sicherlich die Aria di Giovannini: »Willst du dein Herz mir schenken, so fang es heimlich an …«
Großes Gewimmel im Marktgetümmel. Einkaufende, in Eile oder sorgsam wägend. Neugierige vor Verkaufsständen mit Schuh-, Korb- und Töpferwaren; mit Zinngefäßen in bester Ausführung. Scherenschleifer und ein reisender Händler. Sein Bauchladen enthält: Degenknauf, Schmuck, Spiegel, erotisierende Essenzen und so manches noch. Der »Slowake« verkauft pfiffig konstruierte Rattenfallen, und die Ölhändlerin preist frischgepreßtes Leinöl an. Kinder, Komödianten, Fuhrwerke. In der Menge spaziert ein gelehrter Herr, den sie auch den »Wunderdoktor« nennen. Er trägt Barett und Brille, unverkennbare Merkmale eines universellen Denkers. Wer vermutet hinter seinem überlegenden Auftreten einen Corpus aus Holz, hölzerne »Beinstangen«, mit Leinen umwickelte Drahtarme? Stramme Waden und Knie sind ihm aus einer »Mischmasse« (Gips, Leim, Kleie) angeformt. Wissendes Lächeln und muntere Augen machen ihn jedoch menschlich-sympathisch. Auch der »Wunderdoktor« trägt wahrscheinlich porträtähnliche Züge. War er Leibmedicus bei Hofe?