Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 3. April 2006, Heft 7

Im Tunnel

von Peter Braune

Wenn Se ssum Tunnel wolln, sind Se bei mir richtich!« An jeder Bushaltestelle tönte dieser Spruch bis hinauf ins Oberdeck. Alle wollten zum Tunnel. Am 3. Sonntag im März ab zwölf. Zum Tunnel unter dem Tiergarten. Nur an diesem Sonntag frei für Fußläufige. »So meine Herrschaften, wenn Se jetzt übern Damm jehen, sind Se jleich am Einjang.«
Doch der Eingang am Schöneberger Ufer war gesperrt. »Och, nur den halben Tunnel zeigen die uns!« Enttäuschung auf über hundert Gesichtern. »Jehn wa eben am Kemperplatz rin.« »Wo issen det?« »Na da hinten! Wo denn sonst?« »Aba Rudi, Du weesst doch, meene Beene!« »Willst De nu det Bauwerk sehen, oder nich? Nu sind wa schon mal hier, Mäuseken.« Mäuseken wollte dann doch. »Hast ja recht, außerdem kostet det keenen Eintritt nich.« Auf halbem Weg das rettende Klo in der Spielbank Berlin am Marlene-Dietrich-Platz. Sehr ordentlich, muß ich schon sagen, mit Musik und mit ohne Geld.
Unsere Hundertschaft aus dem Bus war in der Zwischenzeit zum Tausendfüßler angewachsen. Vorne irgendwo Rudi mit Mäuseken, erkennbar an der Helmut-Schmidt-Mütze. Oder waren das doch andere Leute? Wo ich hinsah, überall trug jemand so einen schwarzen Deckel. »Rentnerparade«, entfuhr es mir. »Gehörst jetzt auch dazu«, erinnerte mich meine liebenswürdige Begleiterin.
Irgendwann wurden wir von der Menge in den Tunneleingang hinein geschoben, vorbei an Würstchen-, Bier- und Ersttagsbriefmarkenständen. Und als wir uns so abwärts stoßen ließen, »Nu machen Se doch mal voran, Männeken!«, wurde doch tatsächlich von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Verkehr etwas geboten: »Hier spricht die Verkehrsleitzentrale. Stellen Sie bitte den Motor aus! Bitte verlassen Sie sofort Ihr Fahrzeug und begeben sich in Fahrtrichtung bis zum nächsten Notausgang! Stellen Sie das Rauchen ein! Bewahren Sie Ruhe!« Lauter als im Film 1984, aber einschmeichelnd wie in jeder Abflughalle der Welt. Von Fahrzeugen allerdings keine Spur. Wo hätten die auch zwischen den hin und her wogenden Menschen Platz gefunden. Oder kommen die noch? Vielleicht mit Blaulicht und Kanzlerin? Die soll wohl nicht sehen, daß ich da einfach vor mich hin rauche.
In der Mitte vom ganzen Spektakel erhaschte ich im Pulk stehend einige erklärende Wörter eines Tunnelwarts: »Nothaltestreifen im Pannenfall, kombinierte Brandnotbeleuchtung und Fluchtwegkennzeichnung, Flachsignalgeber, Belüftungssystem in Tunnellängsrichtung, Videoüberwachung, 10 kV-Transformatoren.« Toll, was die so alles für 375 Millionen Euro anstellen konnten!
Beim Aufstieg zum Lehrter-Hauptbahnhof wurden meine Beine schwach. Ich durfte darum ausnahmsweise unter den ausgebreiteten Armen einer Türsteherin hindurch die Luft aus der noch unbegangenen und nicht befahrenen Gegentunnelröhre einsaugen. Doch nur kurz, weil hunderte hinter mir auch mal sehen wollten, wie es dort aussieht. Da wurde die Nottür schnell wieder verschlossen.