Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 18. April 2006, Heft 8

Anwärter

von Uwe Stelbrink

Vor den Kinokassen Warteschlangen. Eine junge Frau bietet uns zwei Karten an, sagt halb entschuldigend, halb verlegen: Sie sehen, wir schaffen es ja nicht mehr. Es ist erst dreiviertel acht. In den Film gehe ich mit Argwohn.
DAS Thema – und alle Medien heben den Film vorab schon auf den Schild wie einen Oscar-Anwärter. Und das Plakat: Die Hauptfigur ähnelt in Gestus und Kleidung zu sehr Adolf Eichmann in seiner gläsernen Kabine im Gerichtssaal von Jerusalem. Das kann dem Grafiker nicht entgangen sein, mutmaße ich – und nach dem Film weiß ich es.
Erzählt wird die Geschichte einer tragischen Liebe und einer Intrige. Also Kinostoff. Ein mächtiger Mann im Staate, zufällig ein Minister, begehrt eine Frau, eine Schauspielerin. Im Wege sind ihm deren Liebe zu einem Dramatiker und – als die Liebe sich stärker erweist als die Erpressungsversuche des Ministers – der Dramatiker selbst. Also streut der Minister innerhalb des Machtapparates einen Verdacht, zweckmäßigerweise einen politischen, gegen den Dramatiker – und schon setzt sich ungebremst ein Teil des Geheimdienstes in Bewegung, um dem Oberen und eigener Karriere gefällig zu sein.
Aus dem Dramatiker wird ein Fall. Der gerät in eilfertige Betreuung eines steifen, eisigen Geheimdienstoffiziers, von ihm ob seines manischen Mißtrauens gegen alles Befremdliche, Andere selbst mit in Gang gesetzt. Das Schicksal nimmt seinen Lauf. Dem staatstreuen Dramatiker ist kein Vergehen, nicht einmal eine feindliche Haltung zu seinem Staate nachzuweisen, trotz komplett verwanzter Wohnung. Bis zu dem Moment, da sich sein Freund, ein mit faktischem Berufsverbot belegter Regisseur, das Leben nimmt. Da beschließt der Dramatiker, die geheimgehaltene Selbstmordstatistik seines Staates im nicht gerade wohlgesonnenen Nachbarlande zu veröffentlichen, wobei ihm ein Freund und – vor allem – ein sehr besorgter Journalist eines freiheitlichen Nachrichtenmagazins aus nämlicher Nachbarschaft erfolgreich behilflich sein wird. Dem eisigen Geheimdienstoffizier entgeht nichts, und doch läßt er es geschehen. Gewandelt, oder sich und seinen Idealen treu geblieben, ganz wie es der Zuschauer will und beobachten kann – eine einsame Träne im Auge des Geheimdienstlers beim (Ab)hören der »Sonate vom Guten Menschen« – spielt er Schicksal, will die Schauspielerin vor Minister und Verderben retten, den Dramatiker auch und nicht zuletzt sich selbst.
Das muß tragisch enden. Kino eben. Und bekommt doch einen versöhnlichen Schluß – BUENA VISTA International heißt der Verleih.
Der Plot klingt etwas platt – und ist es wohl auch. Die Geschichte könnte überall auf der Welt spielen. Spielt sie aber nicht. Sondern in den achtziger Jahren der DDR. Und endet Anfang der Neunziger. Und der Minister ist der aus dem MfS hervorgegangene Kulturminister, der auch prompt alle Klischees kräftig bedient. Mir fielen im Gegensatz dazu Kulturminister der DDR ein wie Johannes R. Becher, Klaus Gysi, Hans Bentzien, Hans-Joachim Hoffmann. Ist halt immer ein Problem, wenn man es allzu nachvollziehbar gestalten will. Und die Paladine im MfS sind Zyniker oder dümmlich, wie in allen Geheimdiensten der Welt vermutlich, nur daß es hier eben um die Stasi geht.
Der Filmstoff hätte sich also zur großen Propagandapauke geeignet. Ist er aber nicht. Statt dessen werden ruhig und doch dramatisch Liebe und Intrige im angespannten und komplizierten politischen Umfeld der späten DDR, aber doch immer als persönliche Geschichte erzählt. Die auch das Hohelied des Saulus und Paulus, des braven Mannes schlechthin zu berichten weiß. Alles findet in der realen DDR statt, und doch ist das, was wir da zu sehen bekommen, erkennbar nicht die ganze DDR. Das ist die Leistung des Filmes. In der Tat könnte alles nicht nur in einer Bananen-, sondern auch in der rechtsstaatlichen Bundesrepublik stattfinden; es fänden sich die gleichen Strukturen, die gleichen dienstbaren Geister und sicherlich auch die zum Guten wandelbaren. Gerade darin liegt der kritische Anspruch an DDR-Geschichte, an DDR-Erinnerung. Der Film stellt die leise, aber nachdrückliche Frage, wie es um einen realen Sozialismus in den Farben der DDR bestellt gewesen sein muß, wenn er solche, zum Teil pervertierte Machtstrukturen hervorbrachte, zu seiner Existenzsicherung sogar nötig zu haben glaubte oder nötig hatte.
Ob dieser ehrlichen Frage verzeih ich gern die Schwächen der Story und manche Klischees, die mich an den verfilmten Dr. Schiwago denken ließen – hier allerdings mit stilsicherer Musikauswahl. Und grandiose Schauspieler liefern große Parts. Allen voran Ulrich Mühe als operativer Geheimdienstoffizier. Hervorzuheben Martina Gedeck, Sebastian Koch, Ulrich Tukur, Volkmar Kleinert, Thomas Thieme.
Der Film berührt und entläßt den Zuschauer nachdenklich. Ich teile dagegen Ulrich Mühes im Rundfunk geäußerte Meinung nicht, der Film leiste einen Beitrag zum »endgültigen Abschied von der DDR«; ich denke, er regt eher zur Auseinandersetzung mit der tragischen Entwicklung der DDR an. Und ich kann jetzt auch mit dem Filmplakat leben: Eichmann hörte über Kopfhörer die Stimmen seiner Opfer, seiner Ankläger, seiner Richter. HGW XX/7 erging es nicht anders.
Das ist keine Gleichsetzung und kein Vergleich, auch wenn das vielleicht manche der im Abspann benannten Berater und Teile des Publikums anders sehen werden oder wollen. Letzteres war aus seinen Warteschlangen übrigens in andere Filme geströmt; wir saßen zu einem Dutzend im großen Saale, schade.

Das Leben der Anderen, Deutschland 2005 – Regie: Florian Henckel von Donnersmarck – Darsteller: Martina Gedeck, Ulrich Mühe, Sebastian Koch, Ulrich Tukur, Thomas Thieme, Hans-Uwe Bauer, Volkmar Kleinert, Herbert Knaup – Länge: 137 Minuten; seit 23. März 2006 im Kino