Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 20. März 2006, Heft 6

Elegisches Refugium im Vers

von Kai Agthe

Es war ein spätes Refugium. Hier entstanden seine letzten Gedichte. Buckow, siebzig Kilometer östlich von Berlin, am Schermützelsee gelegen, ist eine exemplarische Dichterklause. So reizvoll die Lage des Domizils in der Märkischen Schweiz, so stimmungsvoll die lyrischen Texte, die sich dieser ländlichen Abgeschiedenheit verdanken: die Buckower Elegien. Die in Moll gehaltene Textsammlung kündigte Bertolt Brecht seinem Verleger Peter Suhrkamp im fernen Frankfurt am Main als Buckowlische Elegien an. Ein schönes Sprachspiel, das den Entstehungsort der Verse mit deren Inhalt (= bukolisch, das heißt ländlich-idyllisch) verknüpft. Bernd Erhard Fischer notiert über diese späten Gedichte Bertolt Brechts: »Sie [die Buckower Elegien – K. A.] sind der Ausfluß einer großen Desillusionierung, die vor dem Hintergrund der besänftigenden Natur zu einer ganz eigenen, melancholischen Schönheit führte.« Mit Heiner Müller gesprochen: In der Zeit des Verrats / Sind die Landschaften schön. Zu politischen Stellungnahmen bestand aber auch in Buckow Anlaß. So verdichteten sich die Ereignisse des 17. Juni 1953 im Haus am See in Versen. Das in den Wendetagen des Jahres 1989 oft zitierte Gedicht Die Lösung (Wäre es da / Nicht doch einfacher, die Regierung / Löste das Volk auf und / Wählte ein anderes?) entstand ebenso am Schermützelsee wie die hymnische Mahnung Die Wahrheit einigt. Die übersandte Brecht dem Ministerpräsidenten Otto Grotewohl in der irrigen Hoffnung, er würde sie im Ministerrat vortragen lassen. War der Dichter wirklich des Glaubens, ein Gedicht könne Politiker zum Umdenken bewegen?
Buckow, das war nicht nur Brechts, sondern auch Helene Weigels späte Einkehr. Während er sich zum Arbeiten in das Gärtnerhaus mit seiner über Eck gezogenen Fensterpartie zurückzog, führte Helene Weigel, fünfzig Meter Luftlinie entfernt von ihrem Mann, in der Eisernen Villa den Haushalt. Das größere der beiden Häuser, die das Ehepaar 1952 mit dem Seegrundstück erwarb, hatte sich der Bildhauer Georg Roch 1910 als Atelier errichten lassen. Die ausladende, durch Sprossen gegliederte und zum See weisende Fensterfläche zeugt von der Nutzung als Werkstatt eines bildenden Künstlers, der viel Tageslicht benötigt. Die Balustrade am See wird noch heute von Arbeiten Rochs gerahmt: Zwei fischschwänzige Pferde, die, scheinbar einem überdimensionalen Schachspiel entnommen, wohl das unzähmbare Element Wasser symbolisieren. Die Eiserne Villa selbst wird von drei Halbreliefmedaillons Georg Rochs verziert.
Bert Brecht und Helene Weigel nutzten den einstigen Atelierraum als Speise- und Konferenzzimmer. In dem thronte »Helli«, so Brechts Kosename für seine Mutter Courage, majestätisch auf einem massiven Brautstuhl aus dem 18. Jahrhundert. Eine Königin war sie auch im häuslichen Küchenreich. Die Teller werden hart hingestellt / Daß die Suppe überschwappt, / Mit schriller Stimme / Ertönt das Kommando: Zum Essen!, heißt es im Gedicht Gewohnheiten, noch immer. Eine Aufnahme in dem edlen Band zeigt die Weigel im August 1967 auf besagtem Möbel sitzend: Sie ist gleichzeitig in das Gespräch mit Joachim Tenschert und in das Putzen von Pilzen vertieft. Die von Helene Weigel mit großem Eifer in der Umgebung gesammelten und mit nicht wenig Liebe zubereiteten Pilze hatte der um seine Gesundheit fürchtende Brecht stets verschmäht. Auf einem anderen, ebenfalls aus den sechziger Jahren datierenden Foto sieht man die Weigel in sommerlich trauter Runde mit den Brecht-Mitarbeitern Helmut Baierl, Manfred Wekwerth und Joachim Tenschert auf der in den Garten führenden Treppe der Eisernen Villa sitzend.
In dem Bändchen wird von Bernd Erhard Fischer auch die Frage, wie es der Hausherr mit den Nachbarn hielt, beantwortet. Verwunderlich oder auch nicht, auf jeden Fall gab es so gut wie keinen Kontakt zwischen den Buckowern und dem Sommerfrischler aus der Hauptstadt. Die hielten Brecht für einen Bonzen und sahen das Kommen und Gehen der vielen Gäste mit Skepsis. Brecht revanchierte sich mit dem Gedicht Vor acht Jahren, in dem er die rhetorische Frage stellt, was Metzgerfrau, Postbote und Elektriker wohl 1945 gewesen sind. Daß in den Buckower Elegien Menschen sonst gewöhnlich nur in Gestalt von Ruderern, also Urlaubern, erwähnt werden, spricht für diese Art Nicht-Verhältnis.
Das in dunkelgrünen Edelkarton gehüllte, in Duoton gedruckte, mit umklebtem Titel-Etikett versehene und erfreulich günstige Bändchen ist so liebevoll gestaltet wie alle sieben bislang erschienenen Publikationen der Reihe Menschen und Orte. Der redaktionelle Text von Bernd Erhard Fischer wird illustriert von historischen Aufnahmen, die Brecht und Weigel am Ort zeigen, und hochwertigen Schwarz-Weiß-Fotografien von Angelika Fischer, die einen Eindruck von der gegenwärtigen Situation in Buckow geben. Zitate von Brecht, Weigel und anderen werden, wenn sie nicht Bestandteil des Textes sind, als Marginalien in grauer Schrift gedruckt.
Wie es sich für eine Veröffentlichung mit bibliophilem Anspruch gehört, wird der Leser im Impressum auch über die verwendete Schrifttype und das zum Druck herangezogene Papier informiert. 2006 werden Veröffentlichungen zu Arno Schmidt in Bargfeld und Wilhelm Busch in Wiedensahl erscheinen. Wer kein Heft verpassen will, kann abonnieren.

Bernd Erhard Fischer: Brecht & Weigel in Buckow. Menschen und Orte. Mit Fotografien von Angelika Fischer, Edition A. B. Fischer Berlin, 30 Seiten, 6 Euro