von Harald Kretzschmar
Ja, wer sind SIE eigentlich? Die Verächter und Belächler, die Beargwöhner und Todfeinde, die Mißversteher und Mißdeuter des Palastes der Republik? Sie sind zwar leicht zu personifizieren. Identifiziert sind sie damit noch nicht.
Eine vage Antipathie wabert im Lager gelernter Altbundesrepublikaner. Stadtbildästheten mit Altansprüchen für Deutungshoheit verketzern den Palast als profanen Fremdkörper auf quasi heiligem Terrain. Was jemand konkret damit und darin erlebt hat, ist nicht gefragt. Die Überzeugungskraft von Fakten zählt nicht mehr, wenn der Schauer der gerechten Empörung über die Debattierer kommt. Selbst der Volkswitz, der von »Ballast der Republik« und »Erichs Lampenladen« sprach, dient dann noch zur Keule eines angeblich schlagenden Arguments.
Die wütende Attacke gegen etwas, das sie zu kennen meinten, hat ihre Gesten fahrig und ihre Worte wirr gemacht. Inzwischen wissen sie schon gar nicht mehr, wovon sie sprechen, wenn die »Beseitigung eines Symbols der Diktatur« angesagt und abgestimmt wird. Was nach Verfall und »Sanierung« nur noch als Phantombau dasteht, selbst das wird ideologisch immer noch attackiert. Börnsen und Pflüger von der CDU wüten unwissend, aber wohlbedacht. Thierse und Tiefensee von der SPD wissen wohl, daß der Bau genau jetzt am gefährlichsten ist. Denn nach der »Zwischennutzung« wird sein zunächst nur im Osten akzeptierter Wert auch im Westen wahrgenommen.
Vergeßlichkeit ist ein schlechter Ratgeber. Den Nutzern der vielen Annehmlichkeiten des Hauses war es egal, daß Partei und Regierung das Gebäude zur Mehrung ihres eigenen Ruhmes hatten errichten lassen. Von Anfang an war das zwanglos gesellige Treiben, das sich hier abspielte, stärker als jede Polit-Farce. Das Staatswappen in der Glasfassade – hatte es die Substanz dieses Zweckbaues politisch so kontaminiert, daß er 1990 schon ruiniert war? Keineswegs. Erst ein flugs herbeizitiertes Asbestgutachten lieferte die Scheinargumente. Asbest wurde zum chemischen Synonym für eine plötzlich wahrgenommene politische Verseuchung. Der Aberwitz der Geschichte trieb die nun Regierungsverantwortung wahrnehmenden Gerechten ins Gemäuer des Zentralkomitees der verblichenen Staatspartei. Ausgerechnet dieses wurde vom Makel eines »Symbols der Diktatur« freigesprochen. Heute fungiert es als Außenministerium.
Ja, und seitdem wird eine Politposse aufgeführt – unter dem Titel: »Ehrloser Abriß und ehrenvolle Wiederaufrichtung eines märchenhaften Schlosses«. Selbsternannter Hauptdarsteller ist der Nachfahre preußischer Gardeoffiziere, Wilhelm von Boddien. Alle Mitglieder seiner Familie waren königs- und kaisertreu, aber als Außenseiter war auch ein Hobbykarikaturist dabei: Er saß 1848 auf seiten der Rechten in der ersten Nationalversammlung; statt ernsthafter Reden kamen von ihm die Linken veralbernde Karikaturen in Umlauf. Immerhin hübsch, daß ein blaublütiger Offizier den Säbel mit der Feder tauschte, um mit der Waffe des Witzes gegen die politischen Widersacher Front zu machen.
Der heutige Boddien versteht weniger Spaß. »Wir wollen unsern Kaiser Willem wiederham« sangen zu Zeiten der Weimarer Republik die Kaisertreuen. So weit geht dieser Wilhelm nicht. Er will nur »Kaiser Willems« Schloß, ungeachtet einiger dunkler Flecken auf dem Image des einst vom großen Andreas Schlüter entworfenen grandiosen Baues. Doch nicht der Architekt bestimmte das fernere Innenleben seiner Schöpfung – die Hohenzollern herrschten, und sie herrschten und herrschten. Das Volk stand widerspenstig vor der Tür. März 1848. Am Berliner Schloßplatz ging es monarchisch blutig zu. Ob es nun einen Schießbefehl gab oder nicht, darüber streiten die Historiker. Fakt ist, daß am Ende die Märzgefallenen in die Geschichte der gescheiterten Demokratie eingingen. Einer Demokratie, die erst nach dem vom Kaiserreich ausgehenden Weltkrieg 1914/18 endlich zum Zuge kam.
Daran kann auch ein CDU-Prominenter wie Pflüger keinen Faden abbeißen – siebzig Jahre nach 1848 hatte das Haus als Symbol der Despotie endlich ausgespielt, und wurde dennoch keines der Demokratie. Übrigens: Als Zugewanderter aus dem Hannoverschen müßte Pflüger eigentlich Spezialist für die Hochachtung vor Fürstenschlössern sein. Zu Zeiten der Sprengung der Berliner Schloßruine fielen auch die Überreste der Schlösser in Hannover und Braunschweig. Allerdings geräuschloser.
Unter dem Getöse des Abrisses ist mit keinem vernünftigen Wort mehr zu rechnen. Um ein Spendenaufkommen für den Neubau des Schlosses ist es allerdings still geworden, und vom bedrohlichen Defizit-Gemurmel der staatlichen und städtischen Finanzexperten wird dem Publikum ganz schwindlig. Der Fortgang der Handlung findet auf der grünen Wiese statt. Dort wetteifern dann die Bürgervertreter Börnsen und Pflüger, Thierse und Tiefensee im Errichten von Luftschlössern.
Falls der alte Herr von Boddien mal vorbeischaut, wird er den einzig vernünftigen Vorschlag zur Güte machen. Da er und die Seinen nun an nichts mehr Anstoß nehmen können, wird er die Wiese zum Friedhof erklären. Erbbegräbnisse sind zu errichten, erstens für die Hohenzollern, zweitens für den Hoch- und Geldadel, drittens für die sonstige High society. Zur Bürgerstadt wird eine Mauer gezogen. Hinter ihr dürfen die Linken all ihre Hoffnungen begraben.
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