Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 6. Februar 2006, Heft 3

Kostas, der Grieche

von Peter Braune

An den Wänden: Ho Chi Min mit Fusselbart, vergilbt in Großformat, der schwarze Schriftzug Tod dem Faschismus! als meterlanges Transparent und das Filmplakat Die Zitadelle zu Bernhard Wickis Film von 1976. An der Decke: Hunderte von gefalteten Papierpfeilen, herabhängend wie fliegende Hunde. Darunter lange gescheuerte Tische, Bänke und unbequeme Kneipenstühle, von jungen Touristinnen und ihren Begleitern als Sitzgelegenheiten bevorzugt. Weißhaarige und weißbärtige Männer und entsprechend gealterte Frauen bevölkern die Nischen mit runden Tischen. Hier werden Weißkohlsalat und Lammkotelett verspeist, dort Bauernsalat mit Schafskäse oder dicke weiße Bohnen. Auf allen Tischen Körbe mit Weißbrot neben Gläsern, gefüllt mit Rotwein, Retzina oder Bier, halbvoll oder auch schon geleert. Zwischen all dem Kostas, der Wirt des Lokals Terzomondo, ganz nah am Kurfürstendamm. Über allem Tabaksqualm und Sirtaki-Rhythmen.
Kostas ist Grieche, vollbärtig, stämmig und vital. Kostas ist 68 Jahre alt. In den Augen vieler seiner Stammgäste ein waschechter Achtundsechziger. Stimmt aber nicht! Bereits Ende der fünfziger Jahre gründete er als Schauspielschüler und Architekturstudent in Berlin mit Freunden die Griechische Gemeinde e. V., füllte hilfesuchenden griechischen Gastarbeitern Anträge aus, vermittelte Benimmregeln und politisierte, feierte, tanzte und sang mit ihnen. Als sich 1967 die Obristen unter Papadopoulos in Griechenland an die Macht putschten, organisierte Kostas von Berlin aus den Widerstand mit der Gruppe Patriotische Front, die sich als ein Sammelbecken sozialistischer und kommunistischer Kämpfer verstand und an verschiedenen Orten Europas arbeitete. Ein Jahr später lernte er Mikis Theodorakis kennen, der als revolutionärer Komponist auch der Patriotischen Front angehörte. Bis zur Verhaftung von Theodorakis begleitete er ihn bei seinen Auftritten in Deutschland. Eine Welle der Empörung aus aller Welt führte zur Entlassung von Mikis Theodorakis aus dem Gefängnis und 1973 zum Sturz des Diktators.
Mancher Berliner Achtundsechziger schreibt sich heute noch neben dem Sieg des Vietcong gegen die Amerikaner auch den Sturz der griechischen Junta auf seine Fahnen, während er vergeblich mit Herz, Wein und Gesang um Salvador Allende gerungen hatte. Im Terzomondo, das Kostas 1972 eröffnete, konnten unsere Alt-Achtundsechziger dann in den Kampf um die Freiheit Spaniens und Portugals ziehen. Manche alten Kämpfer, untereinander Genossinnen und Genossen genannt, hielten noch bis zur »heroisch gefeierten« Errichtung der Pol-Pot-Diktatur in Kambodscha durch und unterstützten mit letzter Kraft das Kommandantenregime in Nicaragua. Doch dann ging ihnen langsam die Puste aus. Nato-Doppelbeschlüsse und Antiatomkampf-Strategien fanden im Terzomondo keinen rechten Widerhall. Um so mehr wurde dafür in dieser Kneipe wieder linke Kleinarbeit geleistet. Wer heute das Restaurant betritt, sieht Kostas meist im Gespräch mit Menschen aus verschiedenen Ländern, die hier und in ihrer Heimat ungerecht behandelt wurden. Er schreibt wieder Anträge, macht Eingaben oder organisiert Hilfstransporte. Viele junge bildende Künstler können in seiner kleinen Galerie zum ersten Mal in ihrem Leben kostenlos ihre Werke ausstellen, Sängerinnen und Vortragende nutzen Bühne und Musikanlage für Auftritte, proben im Keller ohne Entgelt.
Diese einstmals im Wein- und Bierdunst mit Ideologiekämpfen überfrachteten Räume haben sich zu einer Institution entwickelt, um deren Wirksamkeit sie von allen staatlichen und vielen halbstaatlichen Beratungsstellen für Menschen in Not oder Menschen im Aufbruch beneidet wird. Wenn es im Terzomondo so richtig brummt, greift Kostas zur Gitarre und singt. Rauchig der Klang seiner Stimme, aus dem Bauch heraus die Melodie, der Text mit seelischem Gehalt dargeboten, so daß jeder, ohne griechisch zu verstehen, weiß, worüber dieser Mann dort singt: von Freiheit, Gerechtigkeit und Liebe. Niemals aber über Haß, heroisches Blutvergießen oder über politisches Gerangel. Seine Vorgaben sind Texte von Jannis Ritsos oder Odysseas Elytis, Dichtungen der bedeutendsten zeitgenössischen Schriftsteller Griechenlands. Sein Freund Mikis Theodorakis hat sie vertont.
Zu Ehren des 80. Geburtstages von Theodorakis sang Kostas Ende November vorigen Jahres im ausverkauften Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie. Er sang mit dem langen Atem eines weise gewordenen Mannes. Das Publikum dankte es ihm mit stehenden Ovationen. Musikkritiker blieben diesem Konzert fern. Auch irgendwelche Oberhäupter dieser Stadt ließen sich dort nicht blicken. Riech ich dort rein, dachte sich der eine, muß ich mich vielleicht noch anstrengen. Möglicherweise korrumpiere ich mich bei solchen Texten, sagte sich ein anderer. Und ein Dritter geht sowieso lieber zum Griechischen Wein von Altstar Udo Jürgens.