Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 6. Februar 2006, Heft 3

Das imaginäre Museum des Eberhard Havekost

von Klaus Hammer

Er nimmt digitale Fotos als Vorlagen oder produziert Bilder, wie sie auf der Oberfläche des Bildschirms erscheinen. Nun ist ein Computerbildschirm aber kein fester Bildträger, sondern eine digital gesteuerte Projektionsfläche, eine Benutzeroberfläche. Eberhard Havekost malt deshalb nicht nur einfach ab, was auf der Benutzeroberfläche zu sehen ist, sondern viele seiner Bildmotive sind selbst Benutzeroberflächen, Interfaces. Der Blick aus dem Zugfenster, Windschutzscheiben – opak und doch transparent, die Ansicht von Doppelstockwaggons, stereotypen Hausfassaden, von Wohnwagen, Zelten und anderen provisorischen Behausungen, von Autowracks, Sportflugzeugen, Seilbahnkabinen – alles ist glatt und perfekt, der Ein- und Ausgang bleibt verborgen. Dann wieder großfächerige Palmblätter, private Innenansichten, Container, Regale, Alltagsgegenstände eben, oder aber Porträts, Figuren in verschiedenen Verhüllungen und Maskierungen.
Unscharf wirkt die vorbeiziehende menschenleere Landschaft, und das steht im Gegensatz zu den Details des Innenraumes, den Gepäckablagen, den Abteilwänden, dem Fensterrahmen. »Ich versuche Bilder zu machen, die vorgeben, das Vorübergehende einzufrieren«, sagt Havekost. Seine Malerei stellt selbst bewegte Motive gleichsam still.
Der 1967 in Dresden geborene Maler, der auch an der Kunsthochschule auf der Brühlschen Terrasse in der Klasse Professor Ralf Kerbach studierte, lebt heute in Berlin und ist ein bei Kunstfreunden und Sammlern äußerst gefragter Künstler. Um die Jahreswende 2004/2005 hatte das Kupferstichkabinett Dresden sein grafisches Werk aus den vergangenen fünf Jahren vorgestellt. Jetzt zeigt das Kunstmuseum Wolfsburg, das selbst vier Werke beziehungsweise Werkgruppen von ihm besitzt, eine erste große Retrospektive seines malerischen Werkes, die dann weiter nach Amsterdam gehen soll. Das ganze Jahr hat der Maler für diese Ausstellung gearbeitet und die 100 Bilder aus den Jahren 1998 bis 2005 nach eigenem Plan gehängt. Zwei Bilder, »Anfang« und »Ende« (beide 2005), geben die Klammer, die Räume dazwischen setzen immer wieder mit anderen Themen neu an. Mit dem Prinzip der Kontrapunktik, der Simultaneität, des ständigen Perspektivenwechsels, der Infragestellung des einen Bildes durch das andere, aber auch der Einheit in der Vielheit, des Unverwechselbaren im Seriellen – Havekost malt bevorzugt Diptychen, Polyptychen oder ganze Werkgruppen – werden »Denkräume« geschaffen, in denen der Betrachter mit seinen Überlegungen »zwischen die Bilder« kommen soll.
Anfang vergangenen Jahres hatte sich Havekost auf die »Grand Tour« in die USA begeben und sich als Roadmovie eine im Fahren entstehende Materialsammlung jenseits der medial vermittelten Bildwelten zugelegt. Hunderte von Fotografien entstanden, die Architekturen, Landschaften, Autos, Kuriositäten und Porträts zeigen. Auch in seinen Bildern, die nach diesen Vorlagen entstanden, fungiert die Welt hinter der Fensterscheibe als Filter, durch den wir die vorbeiziehende menschenleere Landschaft wahrnehmen. Der Maler kommt vom Ausschnitt oder bei Figurendarstellungen vom Standbild her oder nimmt das wie nebenbei während der Fahrt Wahrgenommene auf. Verliert sich in Filter 2 (2003) der Blick in der vagen Landschaft, so prallt er in Mobile (2000), vier Versionen von Doppelstockwaggons, an einer dunklen oder spiegelnden Fläche ab. Die digitale Bearbeitung der Fotos, die Havekost von einem amerikanischen Autowrack für die Vorlagen der Serie Destiny (2005) aus ganz unterschiedlichen Perspektiven machte, wird zur nachträglichen Simulation eines nicht mehr funktionstüchtigen Fahrzeugs. Das Thema Vergänglichkeit hat ihn schon in der fünfteiligen Serie Rusty Landscapes (2004) beschäftigt, die verfallene, zerstörte, hüttenartige Garagen im Kontrast zur Landschaft zeigt. Dagegen bilden die aufgetürmten Autowracks in Brandung (2004) eine Silhouette, die an eine felsige Steilküste erinnert. Seine Bilder wollen »dokumentarische Bilder einer optischen Auseinandersetzung – und nicht der Wirklichkeit« sein, betont Havekost.
Stage (2004) gibt das Porträt eines hochdekorierten US-Militärs, dessen von Kriegsverletzungen vernarbtes Gesicht entstellt ist. Der martialische Anblick wird hier wie eine Ikone zur Schau gestellt – auch das eine Kultivierung der Distanz. Dagegen erweist sich die Wunde (2005), die ein junger Mann präsentiert, indem er demonstrativ sein schwarzes T-Shirt hochzieht, nur als Tätowierung und damit als Fälschung. Der Körper wird zur »Benutzeroberfläche«, die mit Zeichen operiert. Havekost läßt uns erkennen, daß die Oberfläche keineswegs makellos und unverletzbar ist. Leere Gesichter, leere Fassaden – diese Leere erscheint als Provokation für den Betrachter.
In den Bildern Havekosts begegnet sich das Banale mit dem Ungewöhnlichen, das Private mit dem Öffentlichen, das Verbergen mit dem Enthüllen, die Erstarrung mit der Bewegtheit, aber auch die Mehrdeutigkeit mit der Langeweile der Bilder. Zwar scheinen die Bilder einfach lesbar und einfach zugänglich zu sein, aber sie zwingen den Betrachter zum Agieren und Reagieren. Ihre Doppel- und Mehrdeutigkeit ist problematisch, aber das ist es ja gerade, um was es dem Maler geht.

Kunstmuseum Wolfsburg, dienstags 11 bis 20 Uhr, mittwochs bis sonntags 11 bis 18 Uhr, bis 19. Februar. Katalog 24 Euro