von Wladislaw Hedeler
Vor nunmehr siebzig Jahren – vom 23. bis 30. Januar 1937 – fand in Moskau der zweite Schauprozeß statt. Das Militärkollegium des Obersten Gerichtshofes der UdSSR verhandelte die Strafsache des sowjetfeindlichen trotzkistischen Zentrums. Unter den siebzehn Angeklagten, denen Vaterlandsverrat, Spionage, Diversionstätigkeit, Schädlingsarbeit und die Vorbereitung terroristischer Akte vorgeworfen wurde, befanden sich auch Karl Radek und Grigori Sokolnikow.
Im 1937 veröffentlichten Prozeßbericht stehen ihre Namen an zweiter und dritter Stelle. Das Gericht verhängte dreizehn Mal die Todesstrafe. Das Urteil für Radek und Sokolnikow lautete zehn Jahre Gefängnis. Sie haben die Haft nicht überlebt, weil sie angeblich im Streit von Mithäftlingen erschlagen worden sind.
So oder ähnlich endeten die biographischen Skizzen über die zwei prominenten Angeklagten, denn auch nach Veröffentlichung diverser Dokumentenbände über den Verlauf der Rehabilitierung in der Sowjetunion beziehungsweise in Rußland kamen keine neuen Tatsachen ans Licht. Jetzt hat Nikita Petrow, Mitarbeiter der Moskauer Menschenrechtsorganisation Memorial eine kommentierte Dokumentenedition über den ersten Vorsitzenden des KGB, Iwan Serow, herausgegeben. Sie enthält neben einer ausführlichen biographischen Skizze über jenen Mann, der mit der 1. Belorussischen Front als Bevollmächtigter des NKWD in Deutschland einmarschierte, 49 Dokumente, die Leben und Tätigkeit Serows beleuchten. Unter diesen Dokumenten befindet sich ein Auskunftsbericht aus dem Archiv des Präsidenten der Russischen Föderation, den Serow am 29. Juni 1956 für das ZK der KPdSU, genauer für die von Nikolai Schwernik geleitete Kommission, über die Umstände der Ermordung von G. J. Sokolnikow und K. B. Radek verfaßte.
Sowohl Radek als auch Sokolnikow, heißt es in dem Bericht, hätten im Gefängnis gegenüber Mithäftlingen ihre Unschuld beteuert und auf die Inszenierung des Schauprozesses hingewiesen. Daraufhin wurde im Mai 1939 der Beschluß über ihre Liquidierung gefaßt. Der neue Vorsitzende des NKWD Lawrenti Berija und einer seiner treuen Folterknechte, Bogdan Kobulow, bereiteten im Auftrag von Stalin die Ermordung von Radek und Sokolnikow vor. Zuerst war Radek an der Reihe. Nachdem ein erster Mordanschlag fehlgeschlagen war, traf am 19. Mai im Gefängnis von Werchneuralsk ein von Petr Kubatkin geführter NKWD-Trupp ein. Der Leiter des Gefängnisses unterzeichnete das Protokoll über eine »Auseinandersetzung unter Häftlingen«. Als Mörder von Radek wird der »Trotzkist« Wareshnikow genannt. Seine Rolle übernahm der damals ebenfalls in Haft befindliche Mitarbeiter des NKWD der tschetschenisch-inguschetischen ASSR I. Stepanow. Im knappen Obduktionsbericht heißt es, daß der Tod nach einem Aufprall seines Kopfes auf den Fußboden eingetreten ist. Der Hals des Toten wies Würgemale auf, aus Mund und Ohren trat Blut.
Nachdem Sokolnikow am 21. Mai 1939 in eine Einzelzelle des Gefängnisses in Tobolsk verlegt worden war, bekam er Besuch vom Direktor des Gefängnisses, einem Sonderbevollmächtigten des NKWD, und dem aus Moskau überführten Häftling Lobow, der in der Mordsache Kirow verurteilt worden war. Später gab der vom Direktor des Gefängnisses vernommene Lobow zu Protokoll, daß er Sokolnikow als faschistischen Söldling bezeichnet und für sein Schicksal verantwortlich gemacht hatte. Sokolnikow habe sich daraufhin von der Pritsche erhoben und sei auf ihn zugegangen. Er habe sich von Sokolnikow bedroht gefühlt, nach dem Kübel gegriffen und ihm auf den Kopf geschmettert. So habe er den Angriff abwehren können.
Die Instrukteure der gedungenen Mörder wurden für ihre Arbeit befördert. Kubatkin übernahm die Leitung der Moskauer Gebietsverwaltung des NKWD, Grigori Scharok rückte zum Stellvertreter des Volkskommissars für Innere Angelegenheiten der Kasachischen SSR auf. Auch die zwei anderen, im Schauprozeß von 1937 zu jeweils acht Jahren Gefängnis verurteilten Angeklagten Michail Stroilow und Valentin Arnold überlebten nicht. Sie wurden im September 1941 im Gefängnis von Orlow erschossen.
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