von Frank Ufen
Ein merkwürdiges Phänomen: Fast alle Präsidenten der Vereinigten Staaten hatten mehr Söhne als Töchter. Und während eines Krieges und unmittelbar danach kommen deutlich mehr Jungen als Mädchen zur Welt. Nach wie vor ist es nicht gelungen, dieser Sache auf den Grund zu kommen. Doch eine Reihe von Indizien sprechen dafür, daß sich das Altersverhältnis zwischen den Eltern durchaus auf das Geschlecht des Nachwuchses auswirkt – Frauen, die sich einen um einiges älteren Sexualpartner auswählen, haben gute Aussichten, Mutter eines Jungen zu werden. Und Frauen entscheiden sich für einen älteren Mann, wenn er einen höheren Rang innerhalb der gesellschaftlichen Hierarchie einnimmt als sie selbst, oder wenn junge Männer knapp sind.
Zwischen eineiigen Zwillingsschwestern gibt es in aller Regel weit weniger Gemeinsamkeiten als zwischen eineiigen Zwillingsbrüdern. Eineiige Zwillingsschwestern können sich ohne weiteres in ihrem Aussehen, ihrem Temperament und ihren Begabungen erheblich voneinander unterscheiden, und gelegentlich kommt es sogar vor, daß die eine kerngesund ist, die andere sich hingegen mit einer Erbkrankheit abplagen muß. Warum das so ist, ist leicht zu erklären: Von den beiden X-Chromosomen, mit denen das weibliche Geschlecht ausgerüstet ist, wird immer eines schon während der Embryonalentwicklung abgeschaltet. Und da auf dem X-Chromosom ein Zwanzigstel aller Gene eines Mädchens liegen und es allein vom Zufall abhängt, welches der beiden X-Chromosomen abgeschaltet wird, können die Erbanlagen eineiiger Zwillingsschwestern im Extremfall bis zu fünf Prozent voneinander abweichen.
Ursprünglich scheinen die Chromosomen X und Y geschlechtsunabhängig gewesen zu sein und einander stark geähnelt zu haben. Doch dann verlor das Y-Chromosom ein Gen nach dem anderen an das X-Chromosom und spezialisierte sich immer weiter, bis es schließlich nur noch für die Geschlechtsbestimmung zuständig war. Mittlerweile ist das Y-Chromosom in einem jämmerlichen Zustand. Während sich das X-Chromosom von Generation zu Generation erneuert, indem es Gene mit seinem gleichartigen Gegenstück austauscht, verfügt das Y-Chromosom über keinerlei Reparaturmechanismen. Es kann deshalb nicht verhindern, daß seine Gene durch Mutationen immer weiter geschädigt werden.
Der Umstand, daß Frauen mit zwei X-Chromosomen ausgestattet sind, während Männer mit einem einzigen auskommen müssen, hat weitreichende Auswirkungen auf Körper, Gehirn, Geist und Psyche. Sie stehen im Zentrum der Analysen, die der britische Zoologe und Mediziner David Bainbridge präsentiert.
Ein hochinformatives, mit viel Witz und Understatement geschriebenes Buch – und ein Buch, das sich dem Biologismus und genetischen Determinismus intelligent widersetzt.
David Bainbridge: Das X im Sex. Wie ein Chromosom unser Leben bestimmt, Wagenbach Verlag Berlin 2005, 237 Seiten, 12,90 Euro
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